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Anna Muskardin – Always Walking Into My Red Wall

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Anna Muskardin – Always Walking Into My Red Wall

Unbeschreiblich weiblich

Anna Muskardin strukturiert die 11m2 mit einem fortlaufenden Fries von „Kacheln“. Er durchläuft den Raum kontinuierlich. Er teilt die Wand in Felder auf, oder verdichtet sich selbst zum Feld. Diese Struktur, die auch über das Fenster hinweg geht, dient den Wandfeldern als Rahmen, der mal geschlossen ist, mal offen bleibt. So tritt das Kachelband sowohl als eigenständige Zeichnung auf, als auch als architektonisches Gestaltungselement. In einigen der Wandfeldern haben „Vektor-Zeichnungen“ ihren Auftritt. Deren Liniengefüge sind aus Seilen und Drähten gestaltet, die mit Nägeln und Nadeln an die Wand gebracht wurden.

Die Kacheln

Die in kräftigen Rottönen gehaltenen, quadratischen Tafeln aus Karton zeigen graphisch bearbeitete Photographien, die Personen abbilden, ebenso wie Werkzeuge, historische und zeitgenössische Kunstwerke und Artefakte, aber auch instruktive Darstellungen zur korrekten Ausführung von Steinigungen. Sie zeigen einen bunten Reigen bekannter Persönlichkeiten und Objekten, ebenso wie entlegenere Motive. Ihre Abfolge spiegelt keine unmittelbar ersichtliche Ordnung dar, die über das Prinzip der Reihung hinausgeht. Sämtliche Bilder sind dem Internet entnommen. Es handelt sich also in jedem Fall um öffentliche, in einem weltweiten Forum geteilte Motive.

Format und Größe der Tafeln, sowie ihre nahtlose Aneinanderreihung, erlauben ihren Einsatz als Wandkacheln. Zugleich jedoch lassen sie sich als Pixel, also als Farbbildzellen verstehen und stellen so eine Referenz zu dem, in ihrer Herstellung angewandten digitalen Druck und zum Herkunftsmedium ihrer Motive her.

Die Vektor-Zeichnungen

Mit Nägeln und Nadeln befestigt Anna Muskardin Drähte und Seile zu eindrucksvollen Liniengebilden in Form von Zeichnungen, die als Wandreliefs erscheinen. Linien haben hier plastische Gestalt und gewinnen damit eine eigene Körperlichkeit. Der Blick folgt ihrem Verlauf, die Erinnerung an das Material stellt die Verbindung zu haptischem Wissen her. Die mit Nadeln und Nägeln in Reihungen so sichtbar traktierte Wand gewinnt dabei ebenfalls den Anschein eines, einer Akupunktur unterzogenen Körpers. Dabei lässt sich hier erst im vermeintlichen Heilungsansatz erkennen, was die Wand bislang an Leiden der Anschauung so erfolgreich verbarg!

Die martialisch genagelten Linien dramatisieren Gravitas und Konsequenz, den ein jeder Akt der Festlegung, in Form der Setzung eines Striches, in einer Zeichnung grundsätzlich bedeutet.

Muskardins Vektor-Zeichnungen widmen sich Abbildung von weiblichen Körpern in unterschiedlichen Haltungen und Positionen. Die Materialität ihres „Strichs“ und die sich daraus ergebenden Darstellungsmöglichkeiten verleiht ihnen einen nahezu archaischen Charakter. Das Zusammenspiel von Zeichnung und rahmenden Bilderfeldern unterstreicht diesen Eindruck.

Die Erzählungen

Der Kachelfries mäandert die Wände des Ausstellungsraumes entlang und entwickelt auf diesem Weg eine komplexe Erzählstruktur. Die aus dem unendlich erscheinenden Bilderfundus des Internets gewonnenen Motive ordnen sich in ihrer Reihung und den Verdichtungen zu Feldern, für alle BetrachterInnen zunächst gleich. In einem ersten Wahrnehmungsschritt steht die Funktion der Kacheln als farbige, den Raum gliedernde Struktur im Vordergrund. Den einzelnen Bildmotiven kommt die Funktion von, die Kacheln ausfüllenden Mustern zu.

In einem weiteren Schritt lassen sich die einzelnen Bildmotive der Kacheln in den Fokus nehmen. Hier nun ergibt sich für die BetrachterInnen eine jeweils eigene Wahrnehmung, die bestimmt wird vom Wissen um die Herkunft der verwandten Motive. Die Frage, wie viele Personen und Gegenstände erkannt werden und sich mit Hintergrundinformationen verbinden lassen, entscheidet darüber, wie viel von dem Fries als ein dekoratives Bilderrauschen wahrgenommen wird, wie viel darüber hinaus als belastbarer Informationsaustausch betrachtet werden kann.

In der Reihung der Bildmotive entwickelt sich zunächst ein Muster dieser Erzählungen, das auf der Grundlage des Ordnungsprinzips eines Kaleidoskops beruht. Die scheinbar zufällige Abfolge der Motive wird, bedingt durch das, an die Arbeit herangetragene Wissen, je individuell, in eine neue erzählerische Ordnung gebracht. Aufgrund ihrer großen Zahl im Raum jedoch, verbleibt eine Vielzahl der Bilder reines Kachelornament, womit Muster und Erzählung hier endlich in eins fallen.

Der Fries weist den Vektor-Zeichnungen ihren Bildraum zu und rahmt diesen schützend. In ihren Motiven jedoch agieren diese Rahmen als eine Art Anmerkungsapparat zu den plastischen Wandzeichnungen. Sie regen Interpretationen und gegenseitige Re-Interpretationen an.

Inhaltlich befassen sich alle Aspekte der Bilderzählungen mit dem Thema Weiblichkeit: Frauen als bekannte öffentliche und historische Größen, Darstellungen weiblicher Körperlichkeit, sowie der mögliche Umgang mit dieser sind der alleinige Erzählungsgegenstand. Es bleibt festzustellen: Soviel Weiblichkeit gab es in diesen Räumen noch nie! Dank Anna Muskardin gilt:

 

Und augenblicklich erscheinen die 11m2

Unbeschreiblich weiblich[1

 

Rafael von Uslar

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