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Anna Muskardin – Always Walking Into My Red Wall

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Anna Muskardin – Always Walking Into My Red Wall

Unbeschreiblich weiblich

Anna Muskardin strukturiert die 11m2 mit einem fortlaufenden Fries von „Kacheln“. Er durchläuft den Raum kontinuierlich. Er teilt die Wand in Felder auf, oder verdichtet sich selbst zum Feld. Diese Struktur, die auch über das Fenster hinweg geht, dient den Wandfeldern als Rahmen, der mal geschlossen ist, mal offen bleibt. So tritt das Kachelband sowohl als eigenständige Zeichnung auf, als auch als architektonisches Gestaltungselement. In einigen der Wandfeldern haben „Vektor-Zeichnungen“ ihren Auftritt. Deren Liniengefüge sind aus Seilen und Drähten gestaltet, die mit Nägeln und Nadeln an die Wand gebracht wurden.

Die Kacheln

Die in kräftigen Rottönen gehaltenen, quadratischen Tafeln aus Karton zeigen graphisch bearbeitete Photographien, die Personen abbilden, ebenso wie Werkzeuge, historische und zeitgenössische Kunstwerke und Artefakte, aber auch instruktive Darstellungen zur korrekten Ausführung von Steinigungen. Sie zeigen einen bunten Reigen bekannter Persönlichkeiten und Objekten, ebenso wie entlegenere Motive. Ihre Abfolge spiegelt keine unmittelbar ersichtliche Ordnung dar, die über das Prinzip der Reihung hinausgeht. Sämtliche Bilder sind dem Internet entnommen. Es handelt sich also in jedem Fall um öffentliche, in einem weltweiten Forum geteilte Motive.

Format und Größe der Tafeln, sowie ihre nahtlose Aneinanderreihung, erlauben ihren Einsatz als Wandkacheln. Zugleich jedoch lassen sie sich als Pixel, also als Farbbildzellen verstehen und stellen so eine Referenz zu dem, in ihrer Herstellung angewandten digitalen Druck und zum Herkunftsmedium ihrer Motive her.

Die Vektor-Zeichnungen

Mit Nägeln und Nadeln befestigt Anna Muskardin Drähte und Seile zu eindrucksvollen Liniengebilden in Form von Zeichnungen, die als Wandreliefs erscheinen. Linien haben hier plastische Gestalt und gewinnen damit eine eigene Körperlichkeit. Der Blick folgt ihrem Verlauf, die Erinnerung an das Material stellt die Verbindung zu haptischem Wissen her. Die mit Nadeln und Nägeln in Reihungen so sichtbar traktierte Wand gewinnt dabei ebenfalls den Anschein eines, einer Akupunktur unterzogenen Körpers. Dabei lässt sich hier erst im vermeintlichen Heilungsansatz erkennen, was die Wand bislang an Leiden der Anschauung so erfolgreich verbarg!

Die martialisch genagelten Linien dramatisieren Gravitas und Konsequenz, den ein jeder Akt der Festlegung, in Form der Setzung eines Striches, in einer Zeichnung grundsätzlich bedeutet.

Muskardins Vektor-Zeichnungen widmen sich Abbildung von weiblichen Körpern in unterschiedlichen Haltungen und Positionen. Die Materialität ihres „Strichs“ und die sich daraus ergebenden Darstellungsmöglichkeiten verleiht ihnen einen nahezu archaischen Charakter. Das Zusammenspiel von Zeichnung und rahmenden Bilderfeldern unterstreicht diesen Eindruck.

Die Erzählungen

Der Kachelfries mäandert die Wände des Ausstellungsraumes entlang und entwickelt auf diesem Weg eine komplexe Erzählstruktur. Die aus dem unendlich erscheinenden Bilderfundus des Internets gewonnenen Motive ordnen sich in ihrer Reihung und den Verdichtungen zu Feldern, für alle BetrachterInnen zunächst gleich. In einem ersten Wahrnehmungsschritt steht die Funktion der Kacheln als farbige, den Raum gliedernde Struktur im Vordergrund. Den einzelnen Bildmotiven kommt die Funktion von, die Kacheln ausfüllenden Mustern zu.

In einem weiteren Schritt lassen sich die einzelnen Bildmotive der Kacheln in den Fokus nehmen. Hier nun ergibt sich für die BetrachterInnen eine jeweils eigene Wahrnehmung, die bestimmt wird vom Wissen um die Herkunft der verwandten Motive. Die Frage, wie viele Personen und Gegenstände erkannt werden und sich mit Hintergrundinformationen verbinden lassen, entscheidet darüber, wie viel von dem Fries als ein dekoratives Bilderrauschen wahrgenommen wird, wie viel darüber hinaus als belastbarer Informationsaustausch betrachtet werden kann.

In der Reihung der Bildmotive entwickelt sich zunächst ein Muster dieser Erzählungen, das auf der Grundlage des Ordnungsprinzips eines Kaleidoskops beruht. Die scheinbar zufällige Abfolge der Motive wird, bedingt durch das, an die Arbeit herangetragene Wissen, je individuell, in eine neue erzählerische Ordnung gebracht. Aufgrund ihrer großen Zahl im Raum jedoch, verbleibt eine Vielzahl der Bilder reines Kachelornament, womit Muster und Erzählung hier endlich in eins fallen.

Der Fries weist den Vektor-Zeichnungen ihren Bildraum zu und rahmt diesen schützend. In ihren Motiven jedoch agieren diese Rahmen als eine Art Anmerkungsapparat zu den plastischen Wandzeichnungen. Sie regen Interpretationen und gegenseitige Re-Interpretationen an.

Inhaltlich befassen sich alle Aspekte der Bilderzählungen mit dem Thema Weiblichkeit: Frauen als bekannte öffentliche und historische Größen, Darstellungen weiblicher Körperlichkeit, sowie der mögliche Umgang mit dieser sind der alleinige Erzählungsgegenstand. Es bleibt festzustellen: Soviel Weiblichkeit gab es in diesen Räumen noch nie! Dank Anna Muskardin gilt:

 

Und augenblicklich erscheinen die 11m2

Unbeschreiblich weiblich[1

 

Rafael von Uslar

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Moira Bushkimani – I am Fauna I am Flora

Die Ausstellung ist ein Projekt unseres Kooperationspartners Sana Sanaa: ein interkulturelles Austauschprogramm für KünstlerInnen zwischen Nairobi und Berlin. https://sanasanaa.com

KünstlerInnen aus Nairobi, die ihre Künstlerresidenz in Berlin wahrnehmen, erhalten zum Abschluss ihres Aufenthaltes die Gelegenheit in den 11m2 auszustellen. Diese Ausstellungsreihe eröffnet Moira Bushkimani mit: I am Fauna I am Flora, eine Installation basierend auf zwei Photoserien.

 

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Moira Bushkimani: I am Fauna I am Flora

Moira Bushkimani zeigt mit I am Fauna I am Flora, eine Installation basierend auf zwei Photoserien.  Die titelgebende Fauna und Flora werden von zwei Frauen repräsentiert. Beide tragen denselben langen Rock aus einem blass-gelbem Stoff bei nacktem Oberkörper und Kopf- Gesichtsschmuck.

Die allegorische Inszenierung der Frauen in den Photographien greift auf eine Vielzahl kunsthistorischer und kultureller Referenzen zurück. Fauna zeigt sich als eine schwarze Frau deren bemaltes Gesicht in Teilen von einer Maske bedeckt wird. Vom Hals bis auf die Brüste und im Nacken auf dem Rücken erstreckt sich eine Malerei, die ein partielles Federkleid darstellt. Auf ihren Fingerkuppen trägt sie aus Kupferdraht geformten Handschmuck. Im Folgenden werden zur Einführung einige der möglichen Referenzen ausgewählter Bildelemente kurz skizziert um so eine Reihe von möglichen erzählerischen Anknüpfungspunkten sichtbar zu machen.

Federschmuck

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Die in weißer Farbe auf dunkler Haut angelegte Federmalerei erinnert formal an die mehrlagigen Spitzenkragen wohlhabender weißer Damen in den holländischen Porträts des „Goldenen Zeitalters“. Diese aufwändig gestalteten, in hellem weiß erstrahlenden Spitzenarbeiten signalisierten Reichtum und boten den Gesichtern der Dargestellten im Bild eine theatralische Rahmung. Sie hoben zugleich in besonderem Maße den blassen Teint der Damen hervor. Es ging um Pomp und Weisheit!  Die Federmalerei stilisiert Fauna zu einer exotischen Erscheinung. Die Verbindung von Exotik und schwarzer Haut kann so auf eine Tradition innerhalb der westlichen Welt verweisen in der zur Selbst-Bereicherung das Exotische angeeignet und exponiert wurde und wird. Die diskrete Verbindung von bürgerlichem Pomp und Spezies-übergreifender Exotik ist darüber hinaus ein kluger Verweis auf die Menschen, die mit ihrer Freiheit und ihrem Leben längst nicht nur für das Gold des Goldenen Zeitalters bezahlt haben.

Maske

Die Maske der Fauna setzt sich zusammen aus einem dem Gesicht aufgesetztem Objekt und einer, dieses Objekt ergänzenden Bemalung der Haut. Grundlage des Gesichtsaufsatzes bildet ein beschichtetes Metallstück mit Ösen, in dem zwei große, runde Öffnungen, die wie eine überdimensionale Brille die Augen weiträumig rahmen. Es handelt sich um den Teil einer Dichtung eines Motors, der oberhalb der Augenpartie mit einigen Federn und einer Kupferapplikation geschmückt wurde. Solch applizierter Zierrat steht zur Motorendichtung im starken Kontrast und vermag doch das Gebilde in seiner Gesamtheit wie eine Art Fascinator fürs Gesicht erscheinen lassen.

Die Gesichtsbemalung ergänzt den Gesichtsaufsatz. Sie beschreibt eine klare Form, deren Konturen sich von der sie rahmenden dunklen Haut absetzten. Die kreisrunden Öffnungen geben den Blick frei auf eine Malerei in weißer Farbe, welche die Augen als Ellipsen freistellt. Das weiß reicht über das Objekt hinaus und wird mit schwarzer Farbe komplettiert. Auf dieser erscheint eine weiße Linie, die von der Nasenspitze über den Mund zu Kinn verläuft und an den Wölbungen dieser Körperteile ihre Brechungen erfährt. Diese Maske schließlich verleiht dem Gesicht der Fauna, eine, an das Erscheinungsbild einer Eule erinnernde Gestalt. Dieser Eindruck wird von dem Federkragen eindrücklich unterstützt.

Die Gummi-beschichtete Metalldichtung jedoch erinnert mit ihren großen kreisrunden Auslassungen um die Augen an den ebenfalls kreisrunden Glasschutz von Pesthauben und Gasmasken. Diese Referenz an natürlichen und industriellen Tod innerhalb der Konstituierung des Bildes einer Spezies verändernden Naturerscheinung sind der eine kulturell interessante Kommentar dieser Maske, das Blackface im schwarzen Gesicht ist der andere.

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An dieser Stelle sollte auch kurz die Rede von Flora dem Gegenüber von Fauna sein. Die Frau, die in Moira Bushkimanis Serie die Flora verkörpert ist kaukasischer Herkunft. Oberkörper Gesicht und Haare sind vollständig geweißt. Anders als Fauna tritt sie nicht als Verkörperung von Flora auf, sondern als die Gestalt einer Flora, der das Floristische in Form natürlicher Attribute beigegeben wurde.

Das Weißen der Körper von Weißen hat verschiedene Traditionen begründet. Es gewann an sinnstiftender Präsenz vor allem in den Tableaux vivants bürgerlicher Salons, in denen Herren und Damen der Gesellschaft neben Szenen berühmter Gemälde auch bekannte Skulpturen und Skulpturengruppen nachstellten. Um den Körpern zu erlauben das Erscheinungsbild von Marmor zu vermitteln, wurde zu weißer Farbe gegriffen, zu Kreide oder gar zu fein gemahlenem Marmorstaub. Bekanntlich leitet sich das Posieren in der Photographie ganz wesentlich von dieser erbaulichen gesellschaftlichen Aktivität ab. Da Weißsein vor allem eine soziale Determinante darstellt wird da, wo Blässe als vornehm gilt, gern zu Puder und Make up gegriffen oder gar zum chirurgischen Eingriff.

 

 

Hautfarben

Die Erfindung einer Farbenlehre von Hautfarben als sozialer Konstruktion ist bekanntlich eine historische Leistung der Aufklärung. Sie ist in jeder Hinsicht problematisch, vor allem aber empirisch in keiner Weise verifizierbar. Erst, wenn tatsächlich Farbe ins Spiel kommt, werden Realitäten geschaffen. Das zeigen sowohl das Blackface als Möglichkeit sogenannter Weißer um Erscheinung und stereotypisiertes Verhalten von Menschen dunklerer Hautfarbe nachzuahmen. Dieser Nachahmungsakt ist fast immer zum Nachteil der Nachgeahmten intendiert. Dazu gehört im Gegenzug das Aufhellen dunkler Haut, zwar auch ein Nachahmungsakt, der sich allerdings den Nachgeahmten gegenüber meist ausdrücklich positiv und affirmativ verhält.

Und während Whiteface für eine Weiße, wie eben ausgeführt, gar nicht so ungewöhnlich ist, hat Blackface für eine Schwarze eine ganz andere Qualität, was der direkte Blick von Fauna in die Kamera zusätzlich unterstreicht.

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An animal and a plant

Mit I am Flora I am Fauna tritt Moira Bushkimani dem Dialog zweier indigener Australischer Künstler bei und erweitert damit einmal mehr den kunsthistorischen und kulturellen Horizont ihres Projektes. Ein Dialog, der erst kürzlich im Zentrum der Installation Schutznmantelmadonnamimi von Troy Anthony Baylis stand. Baylis reagierte mit einem Dilly – Objekt, mit Text auf eine Wandinstallation von Vernon Ah Kee mit dem Text: „Not An Animal Or a Plant“. Er bezog sich damit auf ein Referendum aus dem Jahr 1967, in dem die Bevölkerung von Australien dafür stimmte, dass Aborigines den Menschen zuzurechnen seien und nicht, wie zuvor, der Flora und Fauna. Baylis Dilly zeigt den Text: „am an animal and a plant“. Er besetzt so die freigewordene Leerstelle mit einem alternativen Identifikationsentwurf. Moira Bushkimani nimmt zwar diesen Aspekt der freiwilligen Identifikation mit Flora und Fauna auf, verteilt sie jedoch auf die zwei Rollen Flora und Fauna die sie von zwei verschiedenen Frauen personifizieren lässt. In ihrer Bildersprache knüpft sie dabei an europäische Traditionen an.

Im Aufeinandertreffen der beiden als Allegorien tätigen Damen wird dabei jenseits aller angedeuteter kulturellen und historischen Bezüge und Themen auch deutlich, dass jeder Mensch für sich sowohl Flora wie auch Fauna annehmen könnte und der Akt einer Ver-Körperung legt schließlich auch den schönen Gedanken nahe, dass es möglich sei, das Darzustellende womöglich im eigenen Körper zu entdecken und damit in gewisser Weise wiederzufinden.

Rafael von Uslar

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Installation Photos: Michael Maria Müller and by the artist

Troy-Anthony Baylis – Schutzmantelmadonnamimi

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Troy-Anthony Baylis:

Schutzmantelmadonnamimi

Nach der Deutschlandpremiere seiner Mimis in der Ausstellung: We’re Justified And We’re Ancient in den 11m2, 2016, zeigt Troy-Anthony Baylis exklusiv, als Weltpremiere, die dritte Materialisierung eines Mimi in Berlin!

Schutzmantelmadonnamimi ist ein Pop-up Projekt für 11m2, bei dem es im Rahmen einer Konfrontation zweier höchst unterschiedlicher Instanzen um Selbstbehauptung und das Inanspruchnehmen, ein „Claiming“ von Identitäten geht.

Die Installation in den 11m2 gleicht einer Versuchsanordnung. Auf der Bühne erhebt sich Schutzmantelmadonnamimi mit ausgestreckten „Armen“ über einer gestrickten und bestickten „Dilly“ Skulptur, die sich unter einer Glashaube geschützt auf einem Sockel erhebt. Hinter dieser sehr speziellen Begegnung zweier gestrickter Objekte, wird die Rückwand des Raumes von einer Photographie dominiert. Das Bild zeigt den Künstler strickend vor der Berliner Siegessäule stehend. Optisch scheint die Säule in der in Herstellung befindlichen Mimi Skulptur ihre Verlängerung zu finden. Schlaff, als reine Strickware ohne ein eigenes Innenleben scheint das Mimi den Körper des Künstlers als Stütze zu nutzen um nach der Säule zu greifen. Im optischen Umkehrschluss jedoch scheint die Siegessäule über ihren Sockel hinweg auf Albert Speers Treppen in bunten Farben auszubluten.

troy anthony bailey 41, 2019

Mimi

Mimis sind vor-kreatürliche Geister die ihr Vorkommen in verschiedenen Kulturen der Aborigines im Norden des Australischen Kontinents haben. Gemäß den Traumzeitgeschichten und laut Wikipedia handelt es sich um dünne, stock-ähnliche Kreaturen, die Felsspalten bevölkern. In ihren Interaktionen mit den indigenen Einwohnern Australiens haben sie sich als großartige Lehrer erwiesen, als Beschützer und Bewahrer des Landes und der Kultur. Sie haben den Menschen beigebracht zu jagen, Nahrungsmittel zuzubereiten und sie in die Kunst der Malerei eingeführt.

Vor der Ankunft der Aborigine Völker hatten die Mimis eine den Menschen ähnliche Gestalt. Seit der Ankunft jedoch haben sie ihre Stock-ähnliche Erscheinung angenommen und suchen seitdem in Steinspalten und Felsenformationen Schutz vor unvorteilhaften Winden.

Die meisten schriftlichen Quellen geben an, dass die Mimis aus Australiens Arhem Gegend stammen (oder sogar aus Arhemland). Benannt wurde die Gegend nach einem Schiff, das wiederum seinen Namen der holländischen Stadt Arnheim verdankt. An dessen Bord entdeckten 1623 holländische Seeleute Australien für sich, nahmen aber dabei weder das Land in Besitz, noch benannten sie den Ort. Dabei ist festzustellen, das Mimis seit dem Anbeginn der Zeit viele der, von den verschiedenen Nationen bevölkerten Gegenden um „Arnhem“ bevölkern: Gunbalang, Gunibji, Gungurugoni, Nakara, Buarra Gungwinggu, Dangbon, Rembarnga, Ngalkbun, Ngandi, Yolngu, Ngalakan, Nunggubuy Warnindilyakwa aber auch Nationen außerhalb von Arnhem, wie zum Beispiel die Jawoyn Nation die unmittelbar an Arnhemland angrenzt.

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Dilly

Dillybags sind „traditionelle“, aus pflanzlichen Fasern gewobene Taschen der Australischen Aborigines. Sie dienen zum Transport von Lebensmitteln, Werkzeugen, Utensilien für

Medizin, Zauberei und auch Nachrichten. Das Wort „Dilly“ ist dabei ein kolonialer Terminus den Baylis bewusst aufnimmt für seine elongierten Wollobjekte, die jene traditionellen Taschen mit den, mit Text besetzten Skimützen des amerikanischen Künstlers Cary S. Leibowitz kreuzt. Dieses sehr spezielle Dilly aus dem Jahr 2009 zeigt den Text: „am an animal and a plant“ und bezieht sich damit auf eine Arbeit von Vernon Ah Kee, die in breiten schwarzen Vinylbuchstaben den Text „not an animal or a plant“ auf eine weiße Wand bringt. Ah Kee spricht damit auf das Australische Referendum von 1967 an, in dem eine Mehrheit von AustralierInnen sich dafür aussprach, Aborigines als Mit- Menschen anzuerkennen und sie nicht länger zur Flora und Fauna des Kontinents zu zählen.

Siegessäule

Die Berliner Siegessäule bildet das konfrontative Element in dieser Begegnung. 1878 wurde sie errichtet um dreier Kriege zu gedenken, die schließlich zur Gründung der deutschen Nation als ein von preußischem Militarismus dominiertes Kaiserreich führten. Alle Metallteile, die über allem schwebende, vergoldete Viktoria Statue inklusive, sind aus von den besiegten Feinden erbeuteten Kriegsgut gegossen. Jedem Krieg ist eine Säulentrommel gewidmet, die in ihren Kannelierungen mit je zwanzig vergoldeten Kanonen bestückt sind.

Anlässlich der Bauarbeiten zur Welthauptstadt Germania, ließ Hitler 1938 die Säule auf die Ost/West Achse versetzten und nach eigener zeichnerischer Vorlage um eine weitere Trommel erhöhen, der besseren Proportionen wegen. Eben so wie Beuys 1964 vorschlug die Berliner Mauer zu erhöhen um fünf Zentimeter, der besseren Proportionen wegen.i Außerdem wurde die Siegessäule nach Westen ausgerichtet, dort lagen die vergangenen Siege des „Zweiten Reiches“ ebenso wie die zukünftigen Siege des „Dritten Reiches“. Die ehemals auf die Erinnerung der drei Siege und damit auf die Vergangenheit zielende Säule, wurden so,

mit aggressivem Unterton, auf die Zukunft ausgerichtet. Zusätzlich baute Albert Speer der Siegessäulen einen externen Ein – und Ausgang und ein Toilettenhäuschen an den Rand des Tiergartens. Dies sind in Berlin die einzigen erhaltenen Gebäude Speers, der mit Germania geplant hatte, die halbe Stadt zu überbauen.

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Die Installation

Im Raum der 11m2 treten die Siegessäule und das Mimi einander gegenüber. Beeindruckend ist diese Begegnung zuallererst einmal mit dem Blick auf Zeit. Als Säulenmonument geht die Siegessäule auf Weih- Opfersäulen der Antike zurück. Die Viktoria hat ihre Vorbilder in zwei Nike Statuen, von denen die eine auf 190 vor Christus, die zweite auf 490 vor Christus zu datieren ist. Für europäische Vorstellungen ist das eine große Zeitspanne. Die Mimis hingegen verfügen über eine ungebrochene, zeitliche und räumliche Präsenz seit dem Anbeginn aller Zeit!

Aber auch inhaltlich ist dieses Aufeinandertreffen ausgesprochen kontrastreich. Die Siegesgöttinnen als Niken oder Viktorien, stehen für militärische Überlegenheit und erfolgreich angewandte kriegerische Gewalt. Selbst, da noch, wo sie sich als Friedensengel ausgeben, insistieren sie stets auf dem Krieg als notwendige Voraussetzung für den Frieden.

Die Mimis hingegen erscheinen als Lehrer, sie sind die Hüter der für den Menschen entscheidenden Kulturtechniken, das Kochen, Weben, den Tanz und das Malen. In Abwesenheit einer Schriftsprache tritt die Malerei als Speichermedium für Wissen, Kultur und Geschichte auf. Die Mimis üben sich auch selbst in der Felsenmalerei. Etliche ihrer Werke sind bis heute erhalten. Zudem sind sie Bewahrer der Natur und stehen für den verantwortungsvollen Umgang mit der Tierwelt ein.

Selbstbehauptung und Inanspruchnahme

In diesem Spannungsfeld zwischen europäischer Gewaltverherrlichung und friedlichen Traumzeitgeschichten steht zwischen Siegessäule und Mimi das Dilly. Seine Schriftseite ist dem Mimi zugewandt, der Endfaden ein wenig verlegen zur Seite gelegt. Nach guter europäischer Manier ist es als ein Studienobjekt wissenschaftlichen Interesses, als ein Sammlerstück für ein Kuriositätenkabinett, wie ein ausgestopftes Wesen, wie eine getrocknete Pflanze unter einer Glashaube ausgestellt. Derweil breitet das Mimi seine „Arme“ aus, bereit zu umärmeln, zu beschützen. Es öffnet sich damit sinnbildlich dem im dreizehnten Jahrhundert erfundenen Typus der Schutzmantelmadonna. Hier wird „Maria in weitem Mantel dargestellt, unter dem beiderseits (maßstabverkleinerte) Gläubige in bittender oder betender Gebärde versammelt sind.“i In diesen Darstellungen öffnet Maria den Mantel mit beiden Händen und scheint die Gläubigen den BetrachterInnen zu präsentieren, gerade so, als wolle sie ein anderweitig gut bewahrtes Versteck enttarnen.

Dem Mimi ist das Stoffliche des schützenden Mantels schon in seiner Substanz als Wollstrickerei zu eigen. Dies gleicht die ansonsten fehlende Bekleidung aus. Schließlich jedoch machen vor allem die weit ausgestreckten Arme deutlich, wo das große Potential des Bergens für ein Mimi liegt

Das Dilly wiederum, das hier im Zentrum steht, mag als zwischen der Siegessäule und dem Mimi als zwei Polen einer einander widersprechenden kulturellen Ordnung gefangen erscheinen. Doch Troy-Anthony Baylis präsentiert ein Strickobjekt, das sich stolz als zur Flora und Fauna zugehörig outet und somit eine alternative Identität für sich in Anspruch nimmt. Bedenkt man, dass die Mimis bis zu ihrer Begegnung mit den Ureinwohnern Australiens selbst Menschengestalt hatten und diese zugunsten der Aboriginies ablegten, so macht durchaus Sinn, dass jenes selbstbewusste Wollobjekt eine frei gewordene Identität als Leerstelle erkannt und per Akklamation für sich besetzt hat.

Und letztlich hat auch die Siegessäule ihre Befreiung vom Militarismus erlebt. Hier erwies sich der historisch so bedeutende Toilettenbau von Albert Speer als Coming-out Hilfe. Da eine Toilette am Rand eines großen Cruisinggebietes ganz einfach zur Klappe prädestiniert ist, erfuhr der Ort eine schwule Übernahme mit der Siegessäule und ihrer in Gold erstrahlenden Viktoria als weiblicher Schirmherrin des männlichen Geschehens. In dieser Rolle wurde sie zudem Postergirl und Namensgeberin des auflagenstärksten LGBT Magazins Europas. Und so steht schließlich die Viktoria auf ihre alten Tage endlich für mehr ein als nur den Kriegs- und Nationalismus- Schrott vergangener Tage. – Auch wenn die Göttin zu diesem Deckmäntelchen ungefähr so gekommen ist, wie das nackte Woll-Mimi zu seinem Schutzmantel… .

Was jedoch letztendlich wirklich zählt ist die sich seiner selbst bewusste Selbstbehauptung und eben dafür steht in den 11m2 ein tapferes Dilly als ebenso aufrechtes wie leuchtendes Beispiel ein.

Rafael von Uslar

i Max Imdahl: Hans Holbeins „Darmstädter Madonna“ – Andachtsbild und Ereignisbild., in: Max Imdahl Hrsg.: Wie eindeutig ist ein Kunstwerk?, Köln, 1986, S. 12.

i Joseph Beuys: Lebenslauf / Werklauf, Festival der Neuen Kunst 20 Juli 1964, Aachen, in: Beuys. Die Revolution sind wir, Hrsg.: Eugen Blume und Catherine Nichols, Göttingen, 2008, S.222.

 

troy anthony bailey 58, 2019


 

Troy-Anthony Baylis: 
Schutzmantelmadonnamimi
Since the German premier of Troy-Anthony Baylis’s first two mimis in the exhibition We’re Justified And We’re Ancient at 11m2 in 2016, the artist will present the third materialisation as a mimi called Schutzmantelmadonnamimi in Berlin – an exclusive world premier on Sunday 1 September at 7pm at 11m2. 
Schutzmantelmadonnamimi is also the name of a new pop-up experiment at 11m2 set up as the confrontation of two most distinctively different instances of self-assertion and the claiming of identity.

On the stage Schutzmentelmadonnamimi (the third ‘mimi’) rises with extended arms over a knitted and embroidered ‘dilly’ sculpture that is protected under a glass dome on a plinth. Behind this rather special engagement between two knitted objects a photographic image takes over a wall. The photographic image is of the artist standing and knitting in front of the Berlin Siegessäule. There is a visual suggestion of the column continuing through the body of the mimi sculpture-in-progress, which in this instance, unfolds as mere knitwear like a skin without inners. Using the artist’s body as a crotch, the limp mimi is attempting to reach out for the column. In a perspective of reversal, Siegessäule bleeds across its base down Albert Speers’ steps. 

Mimi

Mimis are pre-creation spirits of several Aboriginal cultures from the northern centre of the Australian continent. According to The Dreaming and to Wikipedia they are tall, thin beings that live in the terrain of rocky escarpments. In their interactions with indigenous Australians Mimis have proven themselves as great educators, guardians and keepers of land and culture; teaching people to hunt and prepare food and the art of painting. 

Prior to the arrival of Aboriginal peoples Mimis were of human shape. Ever since the arrival, Mimis resorted to take the form of stick-like creatures that seek protection in the cracks and creases of rock formations from unfavourable winds.

Most published resources claim Mimis to be of the Arnhem region (or even Arnhemland) of Australia named after a Dutch ship that was named after the Dutch city. In 1623, on board the Arnhem ship, Dutch sailors ‘discovered’ Australia for themselves, but did not claim or name. Ever since the beginning of time Mimis have populated many of the populate the already established nations throughout Arnhem: Gunbalang, Gunibji, Gungurugoni, Nakara, Buarra Gungwinggu, Dangbon, Rembarnga, Ngalkbun, Ngandi, Yolngu, Ngalakan, Nunggubuy Warnindilyakwa but also nations outside of Arnhem including the Jawoyn nation located just outside of the Arnhem region.

Dilly

Dillybags are ‘traditional’ bags woven from plant fibres. They serve in the transport of groceries, tools, and utensils for medicine, magic, and messages. The word ‘dilly’ is a colonial label which Baylis consciously takes on to brand his elongated woollen objects that are a cross breed between the traditional bags and ski hats with text produced by the American artist Cary S. Leibowitz. This particular dilly from 2009 features the text: “am an animal and a plant” thereby referring to a work by Vernon Ah Kee: his fat black vinyl letters form the statement “not an animal or a plant” on a white wall as well as other applications. Ah Kee is referencing the Australian Referendum of 1967 when the majority of Australians voted to acknowledge Aboriginal peoples as fellow humans, as citizens, no longer viewing them as part of the flora and fauna of he continent. Baylis is twisting it yet again as an identify claim.

Siegessäule

The Berlin Siegessäule constitutes the confrontational element in this encounter. It was erected in 1878 to commemorate three wars that ultimately led up to the founding of the German nation as a Kaiserreich dominated by Prussian militarism. All metal components of that monument including the gilded Viktoria hovering over the entire scenery were cast from weapons captured from the defeated enemies. Each segment of the column was dedicated to one of the three wars. In addition to that each fluting of the column was adorned by a gilded canon from each war.  

Upon the occasion of the construction work for Germania, the World Capitol, Hitler had the Siegessäule moved to the East/West axis in 1938. According to a genuine hand drawing by the “Führer”, the Siegessäule was extended by a fourth segment for the sake of better proportions.  Rightly so Beuys suggested in 1964 that the Berlin wall should be raised by 5 centimetres for the sake of better proportion!i Furthermore Hitler ordered for the Viktoria sculpture to be oriented towards the west. It was there that the great victories of the “Second Reich” had been won it was there that the future victories of the “Third Reich“ were to be won. Formerly this monument had been directed at the past focussing on historic victories. Now it was redirected at the future not without a distinctly aggressive undertone.

At the monument‘s new location Speer added an external entry and exit as well as a public toilet building at the edge of Tiergarten. These are the only buildings of Speer that survived in Berlin, after he had planned to rebuild half of Berlin in the realization of Germania. 

The Installation

At 11m2 Siegessäule and Mimi confront one another. One impressive aspect in this encounter is the dimension of time. As a monument of columns Siegesäule dates back to the benediction and sacrificial columns of Greek Antiquity. The models for Viktoria are two Nike statues, one of them dating back to 190 before Christ, the second back to 490 before Christ. For European minds this is a grand time span. The Mimis however possess an uninterrupted presence in time and space since the beginning oft he times. Try to beat that!

This encounter however is not only challenging on the level of time but also on the level of content or direction. The victory goddesses in the form of Nikes or Viktorias stand in for military superiority and the successful implication of martial violence. Even when those goddesses attempt to pass as angels of peace, they insist on war as an indispensable precondition for peace. 

The Mimis by contrast appear as teachers, they are the keepers of cultural techniques crucial fort he survival and well being of mankind such as cooking, weaving, dance and painting. In the absence of a literary language painting becomes the main data storage device for knowledge, culture and history. But Mimis are painters in their own right. There are rock paintings that have been preserved to this day giving visual proof of their artistry. On top of that Mimis are guardians and nature and teach a respectful dealing with fauna. 

Self-assertion and utilisation

In the midst of this voltage field of European glorification of violence and peaceful dreaming, right between Siegessäule and Mimi, the Dilly is standing tall. It is looking up at the Mimi, it’s tail curl shyly put aside. In a good and appropriate European manner it is presented as an object of scientific study, a collector’s item for a curiosity cabinet, a taxidermy animal, a dried plant sample, captured under a glass dome.

Meanwhile Mimi reaches out its arms ready to embrace, to protect. Emblematically it opens up to the type of Schutzmantelmadonna as it was invented in the 13thcentury. Here “Mary is depicted in a wide cloak under which, on both sides believers are shown in positions of pleas and prayers”.ii In these depictions Mary is opening her coat with both hands and seems to present those believers to her audience, just as if she was giving away those which are otherwise in safe hide-out. 

In their essential substance as wool knittings the Mimis call the very texture of the protective coat part of their own fabric. This compensates for the otherwise obvious lack of garment. In the meantime the extended arms give convincing visual evidence of the great and obvious potential for salvage a Mimi is capable of.

The dilly on the other hand taking centre stage, may appear to be captured in a lock between Siegessäule and the Mimi in a bipolar configuration. Troy-Anthony Baylis however presents the knitted object outing itself proudly as being part of flora and fauna. It thereby claims an alternative identity. Taking into consideration the fact that Mimis prior to their encounter with the Aborigines had taken on human form for themselves only to give it up in favour of Australia’s Indigenous population, it makes a lot of sense that this self-conscious wool object identifies a vacant identity position and subsequently occupies it via acclamation.  

Then ultimately even Siegessäule experiences a liberation from militarism. In this case Albert Speer’s historically significant toilet edifice proved to be the crucial coming-out support. A public toilet located on the outskirts of a vast cruising area is simply predestined to become a beat. Thereby the location was subject to a gay take-over with Siegessäule with its shiny golden glitter Viktoria becoming the female patron of the all-male action. This is exactly how Siegessäule finally identified as Postergirl and eponym of Europe’s highest circulation LGBT magazine. So finally Viktoria as a lady of age no longer needs to identify for the war debris of days of past.

Even if the goddess came upon the fig-leaf cloak just about in the same way as the naked wool-Mimi came upon its protective coat in the interpretation of the Virgin of Mercy.


In the end however what really counts is the self - conscious self-assertion and this is exactly what this one brave Dilly stands in for: All upright and a bright and shining example.
Rafael von Uslar

i Joseph Beuys: Lebenslauf / Werklauf, Festival der Neuen Kunst 20 Juli 1964, Aachen, in: Beuys. Die Revolution sind wir, Ed.: Eugen Blume und Catherine Nichols, Göttingen, 2008, P.222.

ii Max Imdahl: Hans Holbeins „Darmstädter Madonna“ – Andachtsbild und Ereignisbild., in: Max Imdahl Ed.: Wie eindeutig ist ein Kunstwerk?, Köln, 1986, P. 12.

 

Elisabeth Leyde – Weisssehen

Elisabeth Leyde, 11qm, 14, 2019

Elisabeth Leyde, 11qm, 12, 2019

 

Elisabeth Leyde, 11qm, 25, 2019

Elisabeth Leyde, 11qm, 19, 2019

Elisabeth Leyde, 11qm, 13, 2019

Elisabeth Leyde_Druck_Karte_Vor - Kopie

 

Elisabeth_Leyde_rand_Einladung Kopie - Kopie

Kay Rosen

Zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen am 22. und 23. April 1945.

Kay Rosen: Remember, 1995

Eine Grabschleife in den Farben schwarz, rot, gold. Dies sind die Farben der Befreiungskriege, des Deutschen Bundes, der Frankfurter Nationalversammlung und schließlich der Weimarer Republik. Nach einem ebenfalls traditionsreichen schwarz, weiß, rot Intermezzo sind es die Farben der beiden deutschen Nachkriegsstaaten, BRD und DDR. Schließlich, seit der Wiedervereinigung 1990 auch die, der heutigen Bundesrepublik Deutschland.

Folgen die Farben in der Flagge der Bundesrepublik in Streifenform einer horizontalen Anlage, so sind Kranzschleifen, die das Flaggenmotiv zitieren, traditionell vertikal ausgerichtet. Kay Rosen nutzt die aufeinanderfolgenden Farbfelder zu einer Gruppierung der Buchstaben RE auf gold, MEM auf rot und ER auf schwarz.

Eine Kranzschleife ist der Ort für letzte Grüße, für feierliche Erklärungen eines ewigen Angedenkens, die Bekundung hoher Achtung, kurzum, es geht um eine Beschwörung des Niemalsvergessens, der manchmal auch schlicht die Nennung von Eigennamen reichen. An diesem Beschwörungsritual nimmt Remember teil. Die Nationalfarben eröffnen dafür die Arena der kollektiven „Erinnerungskultur“. Das einzeln gestellte Wort wiederum läßt sich als Absichtserklärung oder als Imperativ verstehen.

Remember“ ließt sich ohne Schwierigkeiten. Sichtbar wird, bei genauerem Hinsehen, eine nicht sichtbar gemachte Leerstelle für das fehlende „B“, über das jedoch das lesende Auge bereits bereitwillig hinweg gesehen hat.

Von der Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von Erinnerungslücken, vor allem aber von der großen Bereitschaft, jederzeit über diese hinweg zu gehen, handelt dieses Multiple.

Erschienen ist Remember 1995 Kay Rosens Beitrag zur Ausstellung Zimmerdenkmäler in Bochum. Anlässlich des erstmalig von der Stadt Bochum organisierten Besuches ehemaliger jüdischer Mitbürger und Überlebender des Holocaust, wurden Bochumer BürgerInnen aufgefordert, einen Platz in ihrer Wohnung zu schaffen, den sie als eine symbolische Geste den Gästen anbieten, die vormals einen Ort in dieser Stadt ihr Zuhause nannten. Diese raumgebenden Gesten wurden sichtbar gemacht durch Kunstwerke, die für die Dauer des Besuches, eine Woche im September 1995, öffentlich zugänglich waren.

Kuratiert wurde die Ausstellung von Rafael von Uslar.

Es erschien ein Katalog mit Photographien, der in den Wohnungen realisierten Installationen, von Candida Höfer:

Zimmerdenkmäler, Essen, 1995.

Zum Besuch und zur Ausstellung erschien eine, von Hans-Peter Feldmann mit Photo-Collagen illustrierte Dokumentation: Vom Umgang mit der Geschichte, Essen, 1996.

Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen sind von der S-Bahnstation Savignyplatz zu erreichen mit der S9/S1, Fahrtzeit: 1 Std. 30. Min.

 

Kay_Rosen2_kundenstopper - Kopie

Shelly Lasica und Tony Clark – REPRESENT

Shelley Lasica und Tony Clark
REPRESENT
Eine Performance von Shelley Lasica in der Villa Sino-Turk-Romana von Tony Clark für 11m2, Berlin Charlottenburg am 03.08.2018
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Tony Clark 24, 11qm, 2018
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Represent ist ein fortlaufendes gemeinschaftliches Projekt von Shelley Lasica und Tony Clark. Eigens für den Anlass geschaffene Teile von Clarks Myrioramen dienen einen Abend lang als Kulisse für eine Tanzperformance.
Seit 2013 wurde Represent in der Galerie Seippel in Köln, bei Murray White Room in Melbourne, in Privaträumen in Millitello auf Sizilien, sowie im Arboretum in Canberra gezeigt. Für jede Aufführung werden Performance und Kulisse für den jeweiligen Ort neu gestaltet.
Tony Clark - Shelley Lasica 10, 11qm, 2018
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Am 3. August 2018 wird Represent nun auch in den 11m2 in Berlin gezeigt. Hier entsteht eine Hybridisierung eines Myrioramas in eine „Sino-Turke“-Landschaft als eine Performance in der sie ihren Auftritt als Kulisse hat. Derweil wird sich der tänzerische Live-Act in einem verwirrenden Wechselspiel von Momenten des Innehaltens und kontinuierlicher Bewegungsdynamik entwickeln.
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Konzeptionell bezieht sich Represent auf die „Portland Vase“, eine berühmte, im antiken Rom in Überfangtechnik hergestellte Vase, die sich etwa auf den Zeitraum zwischen 1 v.Chr. und 25 v.Chr. datieren lässt. Nachdem sie im Jahr 1582 in Rom entdeckt worden war, gelangte sie schnell zu internationalem Ruhm. Seit etwa 1780 befindet sich die Vase in England, seit 1810 wird sie dort im British Museum ausgestellt. Josiah Wedgewood versuchte über viele Jahre hinweg eine Kopie der Vase in seinem berühmten Jasperware herzustellen, bis ihm dies schließlich 1790 auch gelang. Die öffentliche Präsentation der Wedgewood Kopie und das Bekanntwerden ihrer komplizierten Produktionsgeschichte erhöhten die Popularität der Vase und deren Ästhetik in erheblichem Maße. Vor einem dunkelblauen Hintergrund wurden in eine weitere, weiße Glasschicht in Kameentechnik, Bilder eingeschnitten, welche die Figuren in Architekturelementen und Landschaftsszenerien mit Bäumen zeigen. In seiner formalen Gestaltung zeigt
sich das Relief sowohl zwei- als auch als dreidimensional. Bemerkenswerterweise konnte während ihrer langen Rezeptionsgeschichte das ikonographische Bildprogramm der Vase in seiner Gesamterzählung nie schlüssig bestimmt werden.
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Für Represent nimmt Lasica den Figurenkanon der berühmten Glasvase zum Ausgangspunkt und nutzt dabei die Offenheit und Unklarheiten bezüglich der erzählerischen Zusammenhänge als Anlass für ihre eigene Version einer instabilen Erzählung.
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Tony Clark - Shelley Lasica 27, 11qm, 2018
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In der Villa Sino-Turk-Romana macht Tony Clark von dem gesamten, unterhalb der 11m2 angesiedelten „Garagen“–Raum Gebrauch. Mit großformatigen Malereien, die erstmals eine von historischem Meißner Porzellan inspirierte Farbpalette aufweisen, verwandelt er die Garage in den zur Villa gehörenden „Garten“. Anders als in früheren Fassungen von Represent, in denen Lasica sich an der Bildoberfläche als Aufführungsort orientierte und so tänzerisch eine Reliefstruktur entwickelte, öffnet sich Represent hier der Raumtiefe. Indem jedoch Lasica die Vorstellung von Relief aufrecht erhält, bahnt sie sich einen Weg in einen neuen, ungewöhnlichen Aufführungsraum.
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Rafael von Uslar
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Photos von Boris von Brauchitsch
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REPRESENT
A performance by Shelley Lasica at the Villa Sino-Turk-Romana by Tony Clark for 11m2, Berlin Charlottenburg, 03.08.2018
Represent is an ongoing collaborative project by Shelley Lasica and Tony Clark. Sections from Clark’s Myriorama are presented for one night as scenery for performances. Since 2013, Represent has been shown at Galerie Seippel in Cologne, Murray White Room, Melbourne, a domestic space in Millitello, Sicily and the Arboretum in Canberra. Each time it is shown it is remade for the particular situation.
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In August 2018 Represent will be presented at 11m2, representing a further hybridisation of the Myriorama into a Sino-Turquerie landscape as a performance, rendering them as scenery, whilst the live performance unfolds at once in suspension and continual momentum through time, always confounding.
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Conceptually, Represent refers to the “Portland Vase”—a famous piece of Roman cameo glass vase that is dated to between AD 1 and AD 25. Discovered in Rome in 1582 it quickly rose to international fame. From around 1780 the vase has been located in Britain, and since 1810 it has been on display at the British Museum.
Josiah Wedgwood spent years attempting to recreate a copy of the vase in his iconic Jasperware and finally succeeded in 1790s. The public display and production of the Wedgwood copy greatly increased the popularity of the vase and its aesthetic. A white relief is set against a black background displaying a scenery of figures, some of whom are interacting with one another, while others remain solitary. This circular narrative is played out continuously though the figures in architectural elements, landscape features and trees in an object that identifies as both two-dimensional and three dimensional. Throughout the objects history, the meaning of the object’s iconography has never been verified.
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Represent features a large scale Tony Clark painting as the scenery for a performance. The choreography of the object and its putative narrative become the performance. Taking the figurative inventory as a starting point, Lasica refers to the famous glass relief figurines, the shape of the narrative and the object itself as versions of an unstable story.
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At the Villa Sino-Turk-Romana Clark will make use of the entire “garage” space located underneath the 11m2 exhibition space. Defining the garage as the Villa’s extended “garden area”, Represent will provide depth through an aperture. As a consequence, the performance will transcend the idea of relief in
order to pioneer into a highly unusual theatrical space, collapsing the gallery, the garage and the street.
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Rafael von Uslar

Tony Clark – Villa Sino – Turk – Romana

Tony Clark:

Villa Sino – Turk – Romana

einladung_Tony_Clark_Facebook

Ein Projekt für 11m2, Berlin
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Der australische Maler Tony Clark zeigt in den 11m2 Entwürfe für eine hypothetische
Villa Sino-Turk-Romana. Jedes Gemälde tritt hier als ein Stellvertreter für andere Objekte und Medien auf. Es handelt sich um “Entwürfe” für Mosaiken, für Vasen, für Deckengemälde, etc. Während die Darstellungen sich in den Kontext der Geschichte der “westlichen” Malerei stellen, rezipieren die herbei zitierten Dinge zeitgenössische Formen von Chinoiserien und Turquerien. Die Villa selbst, die solch komplexem Exotismus Heim und Plattform bietet, gründet in ihren Fundamenten auf einen, sich auf romanische Traditionen beziehenden, unverwüstlichen Klassizismus.
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Tony Clark 20, 11qm, 2018
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In Berlin knüpft Clark an seine Entwürfe für eine Villa Sino-Romana an, die er 1987 in Sydney ausstellte: Eine Serie von Gemälden, in denen er eine klassizistische Formensprache mit den Phantasien historischer Chinoiserien verband. Seine Ausstellung markierte dabei als sichtbares künstlerisches Zeichen den Beginn eines bedeutenden politisch-kulturellen Paradigmenwechsels, der sich Anfang der 90er Jahren in Australien vollzog. Eine bis dahin unerschütterlich anglophile, eurozentrische Gesellschaft öffnete sich der Realität der mehr als 100 Jahren währenden Einwanderung aus Asien, um schließlich sogar die Verortung des Kontinents im pazifischen Raum anzuerkennen.
Die Bereicherung der Villa um die Wunder der Turquerie ist Clarks Tribut an Berlin, an Deutschland, an ein Land, das zwar zu einem späten Coming Out als Einwanderungsnation gefunden haben mag, aber dennoch nicht müde wird, selbst auf höchster politischer Ebene eine Diskussion darüber zu führen, ob eine – von Millionen von BürgerInnen des Landes praktizierte Religion – zur nationalen Identität eben dieses Landes “gehört”.
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Welch besserer Ort für eine Villa in klassizistischer Tradition als der einer Pförtnerloge der Jahrhundertwende, in der Mommsentrasse in Berlin? Welch bessere Nachbarschaft als die dem “Exotismus” in seinem besten Wortsinn Ehre erweisenden Charlottenburger Sammlerhaushalte des frühen 20. Jahrhunderts?
Welch bessere Strategie eine Eindeutigkeit in der narrativen Vermittlung zu finden, als jene, die jede Form der Äußerung als selbsterklärte Stellvertreter für eine mehrfach zu vollziehende, kulturelle Übersetzungsleistung einsetzt? Welch besserer Ort als Australien um klar zu sehen, worüber in Deutschland zu sprechen ist?
Tony Clark 18, 11qm, 2018
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Represent
Den Garten der Villa verlegt Clark in die 11m2 “Garage”, die er komplett ausgemalt hat, als eine Bühne für den Auftritt der australischenTänzerin Shelley Lasica und ihr gemeinsames Performance-projekt Represent.
In dieser Performance greift Lasica auf Motive der in England sehr berühmten Portland Vase zurück. Bis heute ist es Forschern nicht gelungen, die Muster der Erzählung dieser Vase eindeutig zu bestimmen. Mit ihrem interpretativen Tanz erstellt Shelley Lasica eine weitere Übersetzung im Rahmen des, mit Übersetzungsleistungen nicht eben geizenden Projekt der Villa Sino-Turco-Romana in den 11m2.
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Tony Clark 15, 11qm, 2018
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Villa SinoTurk-Romana @ 11m2
Die Villa Sino-Turk-Romana ist eine Einladung zur Horizonterweiterung. Sie lenkt den Blick auf den Reichtum einer Kultur, der sich dem Fremden gegenüber öffnet um das Fremde schließlich in neuer Form als das facettenreiche Eigene wiederzuerkennen.
So wird inhaltlich, unter Indienstnahme eines ironisch, kritischen Exotismus, in einem
interkulturellen Brückenschlag zwischen Australien und Deutschland, die Anerkennung von kulturellen Einflüssen von Einwanderergemeinschaften auf die Einwanderungsgesellschaft zum Thema dieser Ausstellung.
Vor allem aber bietet diese Villa mit Tony Clarks Bildern eine spannende, konzeptionell kluge, höchst ironische und dabei ästhetisch ausgesprochen verführerische Malerei.
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Anmerkungsapparat
Tony Clark, Malerei
Die Malerei von Tony Clark gründet wesentlich auf konzeptionellen Überlegungen.
Bekannt wurde er mit seinen Myrioramas, die aus Einzeltafeln bestehenden,
kontinuierlichen Landschaftsbilder, welche sich in nahezu endlos erscheinenden
Kombinationen in ihrer Reihenfolge neu zusammenstellen lassen. Das Prinzip geht auf das, von John Clark im Jahr 1824 patentierte Gesellschaftsspiel zurück. welches aus gedruckten Tafeln mit kontinuierlichen Lanfdschaftsdarstellungen besteht.
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In einem Interview mit Robyn McKenzie stellte Clark fest, das sich eines seiner Myrioramen gleichermaßen für einen Auftritt bei der documenta IX, dem Cover eines
Nick Cave Albums und schließlich einem Einband des Readers Digest geeignet hätte. Für ihn stellt dies einen Idealfall seiner Malerei dar. Clark zelebriert die Malerei an deren Außenrändern, dort, wo sie immer mehr ist als nur ein Bild. Was schließlich kann eine größere Herausforderung darstellen, als ein Entwurf zu sein? Vor diesem Bild liegt immerhin nichts Geringeres als eine Zukunft voller Möglichkeiten!
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Tony Clark 13, 11qm, 2018
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Chinoiserie
Im 18. Jhd. etablierte sich in der westlichen Kultur ein idealisiertes Bild Chinas. Diese
Sicht stellt, vor dem Hintergrund defizitärer Strukturen in Europa ein Modell eines
exotischen Utopias im Sinne eines wesentlich fiktionalen Gegenentwurfs dar. Damit
eignete sich das Asiatische als Idylle und als Traumort, ein Ort der Mythen und der
fiktiven Verschönerungen und unglaublicher Bildungsstandards. Ökonomen und
Philosophen deuteten ein China der Reiseberichte vor dem Hintergrund ihrer Kritik
an der von ihnen durchlittenen europäischen Realität. Fortan eignet sich mit erstaunlicher Beharrlichkeit alles imaginierte Chinesische als progressiver Modetrend.
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Turquerie
Am Beginn einer Einflussnahme osmanischer Kultur auf den Westen Europas steht
ein bedeutender Wissenstransfer. Auch wenn das Osmanische Reich mit seiner
Expansion auf dem Balkan und der Belagerung von Wien den Europäern militärisch
und auch wirtschaftlich in die Quere kam, wurden die “Orientalen” jedoch zunehmend
als Inspiration für exotische Moden, als Handelspartner und vermeintliche Vorbilder
für einen Lebensstil großer sexueller Freizügigkeit wahrgenommen. Trotz der größeren räumlichen und physischen Nähe der Kulturen, wurden auch die Osmanen vor allem zur Projektionsfläche europäischer Phantasien und Wunschvorstellungen.
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Spätestens im 20. Jahrhundert wird die Türkei schließlich zum “nahen” Orient. Nach
einem signifikanten Intermezzo, in dem Atatürk das Land zum Zufluchstsort verfolgter deutscher Advangarde machte wurde die Turkei zum Land der Emigration nach Europa. Die Alltagspräsenz der Menschen, die auf diese Weise neue Lebensmittelpunkte gefunden haben, aber nicht zuletzt auch die Arbeit türkischstämmiger Intellektueller und KünstlerInnen, verleihen türkischer Kultur und dem muslimischen Glauben seither einen wichtigen Einfluss in den meisten Staaten Westeuropas.
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Sydney 1987
Im Jahr 1987 stellte Tony Clark eine erste Fassung seines Projektes einer Villa Sino-
Romana in einer Ausstellung in der Galerie Roslyn Oxley in Sydney vor. Das Projekt
bestand aus einer Serie von Gemälden, in denen Clark klassizistische Formensprache mit Chinoiserien verband. Klassizismus traf also auf einen eher phantasmagorischen Blick auf Chinesische Kultur. Die Villa Sino-Romana verstand sich dabei als eine alternative Herangehensweise an das ‘Problem’ von Stil im Post-Aglozentrischen Australien.
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Tony Clark 04, 11qm, 2018
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Obwohl es seit dem 19. Jhd. eine kontinuierliche Einwanderung aus asiatischen Ländern – vor allem aus China – gab, fanden beispielsweise asiatisch stämmige Kulturschaffende noch in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vor allem über ihre Assimilation Eingang in die von der öffentlichen Wahrnehmung akzeptierten Kultur.
In den 90er Jahren bis zur Jahrtausendwende fand in Australien ein bedeutender paradigmatischer Wandel statt. Die nicht-weißen Einwanderungsgruppen werden seither als prägend für das kollektive kulturelle Bewusstsein anerkannt. Australien lokalisiert sich bewusst und strategisch im Asiatisch-Pazifischem Raum.
”Reconciliation” und darüber hinaus eine Besinnung auf Bedeutung und Reichtum der indigenen Kulturen des Kontinents werden als eine gesellschaftliche und politische Aufgabe anerkannt. Als Einwanderungsgesellschaft kommt Australien heute damit aus deutscher Sicht eine Vorbildfunktion zu.
Tony Clark 09, 11qm, 2018
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Berlin 2018
In Berlin erweitert Clark das Villenkonzept um die Turquerie. Er trägt damit einem besonderen Phänomen Rechnung: Nach mehr als einem halben Jahrhundert der
Einwanderung von Menschen aus muslimisch geprägten Ländern, vornehmlich der Türkei, ringt die Bundesrepublik immer noch um die Anerkennung einer Prägung der
kollektiven Kultur dieser Einwandergruppe. Noch unter Verkennung der im Grundgesetz festgeschriebenen Religionsfreiheit bleibt die Frage nach der Zugehörigkeit “des Islams” zu Deutschland ein nationaler Aufreger. Dafür gibt es einen Heimatminister. “Heimat” ist eine Baustelle, die viel Platz für die unterschiedlichsten Villen, Hütten und Paläste bietet. Vor allem aber kann Heimat der magische Ort sein, an dem sich Bewahrung und permanenter Wandel widerspruchsvoll vereinen. Clark selbst unterhält Lebensstandorte in Australien, Italien und Deutschland. Sein Blick auf Europa ist geprägt von einem großen Interesse an der Kulturgeschichte des Kontinents. Sein wohlinformierter künstlerischer Kommentar ist in Berlin auch gerade deshalb so interessant, weil Clark solches Wissen in Beziehung setzt zu seinen Erfahrungen, die er zu allererst in einer Kultur gewonnen hat, die wesentlich auf Immigration und Integration gründet.
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MyBerlinWall 2018: Anny und Sibel Öztürk
Der Villa Sino-Turk-Romana antworten die deutsch-türkischen Künstlerinnen Anny
und Sibel Öztürk mit einer Installation für MyBerlinWall in der Kantstraße: Wallhangings Floorlayings.
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Sie zeigen eine Arbeit aus großen, handbemalten Teppichen, die in ihrem Formenhaushalt “Klassiker” der Moderne zitieren. In ihrer, sich auf familiäre Erinnerungsgeschichten gründenden Formensprache, zollen sie mit ihren Teppicharbeiten ihrer Großmutter väterlicherseits Tribut, die eine, in ihrer Zeit erfolgreiche Teppichgestalterin in Rumänien war. Familiäre Erinnnerung verbindet sich mit kultureller Erinnerungsarbeit in Form einer Rezeption einer zeitgleichen, westlichen Moderne. In der Verschränkung dieser Ebenen, arbeiten sie aus einer Position heraus, in der sie mehr als ein kulturelles Erbe ihr Eigen nennen.
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Ihre Teppicharbeiten haben einen sehr großen dekorativen Wert, erschließen sich jedoch bei genauerem Hinsehen als Werke von bemerkenswerter erzählerischer Komplexität. Entscheidend in ihrer Arbeit jedoch, ist die Einlassung auf den jeweiligen Raum, den sie bespielen. Ihre Installation für MyBerlinWall läßt sich vordergründig sehr vermittelnd auf die besonderen Bedingungen einer Ausstellung in privaten Räumen ein. Auf der anderen Seite torpedieren die Künstlerinnen genüßlich die ihnen gewährte “Gastfreundschaft”.
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An gleichem Ort haben sie bereits im Jahr 2011 mit Unspeakable Home in einer überaus beeindruckenden Installation die unaussprechliche Evidenz der Übereinstimmung einer Erinnerungsgeschichte an den großelterlichen Haushalt mit dem Wintergarten von Adolf Hitlers Berghof in einen Charlottenburger Erlebnisraum verwandelt.
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Rafael von Uslar
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Photos von Boris von Brauchitsch
english version below

Tony Clark 28, 11qm, 2018

 

 

 

New-logo-3-schwartz

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Tony Clark:

Villa Sino – Turk – Romana

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A project for 11m2, Berlin
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At 11m2 Australian painter Tony Clark presents his designs for a hypothetical
Villa Sino-Turk-Romana.  Each painting acts as a substitute for another object or medium.
These are ”designs” for mosaics, for vases, for ceiling paintings and so forth. While
the painted images operate within the context of a tradition for Western painting, the
summoned objects adapt contemporary forms of chinoiserie and turquerie.
Meanwhile the villa offering both home and platform to such ambitious exoticism, has
its foundation in a resilient classicism following a roman tradition.
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In Berlin Tony Clark builds on his designs for a Villa Sino-Romana he exhibited in
Sydney in 1987. The show featured a series of paintings that combined a classicist
design vocabulary with historical chinoiserie. His exhibition set a visible artistic
example for a significant political and cultural paradigmatic change that occurred in
Australia in the early 1990s. A society with unswerving Anglophilia and Eurocentrism
opened up to the reality of more than a hundred years of immigration from Asia, only
to ultimately accept the continent’s localization in the pacific area!
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Enriching the villa with the wonders of turquerie is Clark’s tribute to Berlin, to
Germany, to a country that may have had a late coming out as a nation of
immigration. It is a country however that seems to never grow tired of discussions,
even on the highest political level, concerning the issue whether a religion – practised
by millions of it’s citizens – is part of the national identity in a sense of “belonging” or
not.
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What better places for a villa in a classicist tradition than that of a porter’s lodge in
Berlin’s Mommsenstraße? What better neighbourhood than those early 20th century
Charlottenburg collector’s households which payed tribute to “exoticism” in the best
sense of the word? Which better strategy to achieve unambiguity in a narrative
discourse than to implement each form of statement as a self declared substitute for
a quest for multiple acts of cultural translation? What better place than Australia to
get a clear perspective what needs to be addressed in Germany?
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Represent
Tony Clark relocates the Villa’s garden into the 11m2 “garage” which he outfitted
completely with his paintings to serve as backdrop and stage for the performance of
Australian dancer Shelley Lasica staging their long-term collaborative project
Represent
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In her performance Lasica draws upon the motifs of the Portland Vase, an antique
object of considerable fame in Britain. Scholars have as yet not been able to
successfully decipher the patterns of the vase’s narratives. With her interpretive
dancing Shelley Lasica issues yet another translation in the context of this Villa Sino-
Turk-Romana at 11m2 – a project not exactly sparing with acts of translation in the
first place!
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    Villa Sino-Turk-Romana @ 11m2
The Villa Sino-Turk-Romana is an open invitation to broaden one’s horizon. It is
directing the focus on the affluence of a culture that opens up towards what may
appear to be foreign only to ultimately recognize the “foreign” in a new form as part of
the culture’s very own multifaceted identity.
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Thus, employing an ironical and critical view on exoticism along with some
intercultural bridge building between Australia and Germany, the exhibition has the
acknowledgement of cultural influences of immigrant communities on immigration
societies for a theme.
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Most importantly however the Villa, featuring Tony Clark’s works, provides for
fascinating, conceptually clever, highly ironic and yet aesthetically compelling
painting.
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Rafael von Uslar
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Hans Georg Berger – VIPASSANA MOVEMENT

HANS GEORG BERGER:

This natural faculty transforms ignorant people into skilful people and makes already skilful people even more skilful:

VIPASSANA MOVEMENT

11qm, sathou nyai one keo, 2018, 75a Kopie

Ausstellungs -und Veranstaltungsansichten: Boris von Brauchitsch/Berlin

Hans Georg Berger ist ein Konzeptkünstler, der sich des Mediums der Photographie bedient. Er entwickelt Langzeitprojekte in denen er sich auf andere Kulturen und Religionen einlässt. Hierzu gehören photographische Untersuchungen zum Theravada Budhismus in Burma, Kamboscha, Laos und Thailand und eine Langzeitstudie zum Shiismus im Iran.

In diesen Begegnungen tritt er erklärtermaßen als ein Lernender auf, mit der Einladung an sein Gegenüber Wissen und Einsichten zu teilen. So eröffnet er einen Arbeitsprozess, in den er die Menschen, die er zu Protagonisten seiner Arbeiten macht, mit einbezieht. Es ensteht ein Verhältnis, in dem gegenseitiges Vertrauen die Grundlage für eine gemeinsame Arbeit bietet. Den budhistischen Mönchen in Laos zum Beispiel legte er seine, in der Begegnung mit ihnen entstandenen Photographien, immer wieder vor und machte deren Kritik, Lob und Anregungen zur Basis seiner weiteren Arbeit vor Ort.

So entstehen bedeutende interkulturelle Projekte, die als Soziale Plastiken agieren, ganz im Sinne von Joseph Beuys.

Der traditionelle europäische Blick auf außereuropäische Kulturen ist geprägt von anthropologischen und vor allem ethnographischen Perspektiven. Die Abgebildeten sind Objekte der analysierenden Beobachtung, möglicher Gegenstand von Forschung.

Hans Georg Berger hingegen gelingt mit seiner künstlerischen Strategie ein entscheidender Perspektivwechsel: Indem er seine Arbeit für Kooperation, Kritik und Einflußnahme öffnet, ermöglicht er denen, die er photographiert, die Möglichkeit zur Selbstdarstellung. Dies enthebt sie der passiven Rolle als Betrachtungsgegenstand zu fungieren und bindet sie in das Wechselspiel von Bildregie und Autorenschaft der Photographien mit ein.

Auf der Grundlage ihrer langlährigen Zusammenarbeit mit Berger luden ihn die Mönche zu einer Wiederbelebung der Vipassana Meditationen in einem Wald, nahe des Klosters Vat Phone Pao ein.

In den Jahren 2004 und 2005 nahm Berger an diesen Vernastaltungen als ein künstlerischer Chronist teil. Auf diese Weise entstand ein bemerkenswertes Konvolut von schwarz/weiß Photographien, aufgenommen mit einer analogen Hasselblad Kamera.

Als Teil des von France Morin initiierten Projektes The Quiet in the Land, in Luang Praban, Laos von 2004 bis 2008, werden Bergers Photographien seit 2006 unter dem Titel The Floating Buddha im Luang Prabang National Museum als Dauerinstallation präsentiert.

11qm, Sathou Nyai One Keo, 2018, 34 Kopie
Ein weiteres Projekt das in Kooperation mit The Quiet in the Land entstand, ist ein Handbuch zur Einführung in die Vipassana Meditation, das 2006 in Laos veröffentlicht wurde. Zu den Einweisungen des Abtes Phra Ajan One Keo Sitthivong photographierte Hans Georg Berger die beispielhaften Meditationen junger Mönche in sämtlichen einzelnen Bewegungsschritten, diesmal freihändig mit einer Digitalkamera und in Farbe. Als ein „Handbuch für die jungen Menschen in Laos“ wird diese Publikation von der Laotischen Nationalbibliothek kostenlos im ganzen Land verteilt. Eine Soziale Plastik mit Schulbuchqualität im Wortsinne!

Diese als Leporello gestaltete Publikation bildet den Ausgangspunkt für Hans Georg Bergers Installation in den 11m2. Die Ausstellung konzentriert sich auf die Vipassana Movements, eine Meditation in zwei Phasen. Am Ende der zweiten Phase steht die Instruktion zur Wiederholung beider Phasen. Diesem Hinweis folgt die Installation und zeigt die Photos des beispielhaft meditierenden Mönch als einen endlosen Fries. Vervollständigt wird das Ensemble durch eine Photographie von Vier Meistern, einer von ihnen ist Phra Ajan One Keo Sitthivong, Autor des Handbuchs. Auf der „Bühne“ der 11m2 schließlich liegt eine Meditationsmatte aus Laos. Während die Photos des meditierenden Mönchs an der Wand zu einer Art Meditation der Betrachtung einladen, einem rein visuellen und kognitivem Nachvollzug, fordert diese Matte die BetrachterInnen heraus, dem Mönch in seiner Meditation in einer physischen Einlassung des Körpers und einer psychischen des Geistes zu folgen.

Rafael von Uslar

 

 

 

 


 

11qm, Sathou Nyai One Keo, 2018, 28

Der buddhistische Abt Phra Ajan One Keo Sitthivong ist der Autor von “FIRST STEPS OF VIPASSANA MEDITATION. A GUIDE FOR YOUNG PEOPLE IN LAOS”, einem als Leporello gestalteten Lehrbuch zur Vipassana Meditation, das Hans Georg Berger mit einer Vielzahl von Farbabbildungen, als eine Schritt für Schritt Anleitung zum eigenständigen Lernen illustriert hat. Phra Ajan One Keo Sitthivong nahm vom 18.06 – 20.06. 2018 in Berlin an einer Konferenz des Auswärtigen Amtes im Rahmen des Projektes „Friedensverantwortung der Religionen“ teil. Seine erste Auslandsreise führte ihn in Berlin auch in die Ausstellung Hans Georg Berger: Vipassana Meditation in den 11m2.

Es war allen Beteiligten eine besondere Ehre, den Mönch auf einer, aus Laos eingeflogenen Meditationsmatte sitzend, im Gespräch bei Tee zu erleben. Es war eine bewegende Begegnung mit einem überaus freundlichen Mann, der von den Lehrtätigkeiten in seinem Kloster berichtete. Als besondere Geste umschloß er die Handgelenke aller Anwesenden mit einem Wollfaden in exquisitem Orange!

Ein großer und außergewöhnlicher Glücksfall für die 11m2 und unsere Gäste, Phra Ajan One Keo Sitthivong und Hans Georg Berger in einer Ausstellung, die sich wesentlich ihrer langjährigen Zusammenarbeit in Laos verdankt, gemeinsam  in Berlin erleben zu dürfen!

 

 

 

 

 

11qm, Sathou Nyai One Keo, 2018, 30

 

 

11qm, Sathou Nyai One Keo, 2018, 68

11qm, Sathou Nyai One Keo, 2018, 13

Amin El Dib – Jacques – Mehr als ein Blick

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Amin El Dib

Jaques

Mehr als ein Blick

11m2 und C-Editions präsentieren die erste gemeinsame 11m2 Publikation. Das hochwertig gedruckte, schmale Büchlein im Format 23 x 23cm enthält eine Edition von Amin El Dib. Das Motiv: Jacques! Gedruckt von Artificial Image. Text: Rafael von Uslar
Die Auflage: 25 signierte und nummerierte Exemplare.
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Garagenakademie mit Hans Georg Berger