Boris von Brauchitsch – 9

Die Welt im Maßstab von 9 auf 11m2

Boris von Brauchitsch 9 bei 11m2 Berlin

Um auf die gewaltige Flut privater Photos der immer gleichen Sehenswürdigkeiten zu reagieren, setzte mein Vater, der Knipser, sich die Regel, nichts zu photographieren, was er als Postkartenmotiv professionell abgelichtet erwerben könnte. Und so reihen sich an die Festmeter von Alben, gefüllt mit Bildern der immer gleichen Personen, die in den immer gleichen Situationen jedoch zu verschiedenen Zeiten abgelichtet wurden, zwei Bände mit Ansichtskarten.

9, 11qm, juni 2017 multi

Um auf die gewaltige Flut privater Photos der immer gleichen Sehenswürdigkeiten zu reagieren, setzte sich Boris von Brauchitsch, der Photograph, das Regelwerk eines künstlerischen Konzeptes: An sämtlichen Orten, Städten und Landschaften seiner Reisen, wollte er fortan darauf verzichten, die bereits im Vorhinein sattsam bekannten Motive abzulichten. Stattdessen würde er sich auf die je eine Beobachtung einer Besonderheit am Ort konzentrieren und dieser die strikt beschränkte Anzahl von 9 Photos widmen. Den Bildern – als Quadrate formatiert und zu Blöcken angeordnet – wird ein essayistischer Text zur Seite gestellt.

In locker plauderhaftem Ton werden hier, angereichert mit allerlei Anekdotischem zur Reise und etwaigen Begleitern, die Motive aufgeschlüsselt, ihre Entdeckung dokumentiert und meist mit einem pointierten, kulturelle Analyse behauptenden Kommentar bedacht. Photoblock und Text zusammen ergeben so schließlich ein in sich abgeschlossenes Narrativ.

Boris von Brauchitsch stellt mit seinem Projekt die Frage, wer oder was wen legitimiert, etwas mit der Würde des Sehenswerten auszuzeichnen. Einer kollektiven Einigung auf einen möglichen historischen und kulturellen Konsens stellt er eine radikal subjektive Perspektive gegenüber. In 9 bestimmt von Brauchitsch im Alleingang, welchem Motiv repräsentativer Charakter für einen bestimmten Ort zukommt. Dabei wird das Detail, und die sie begleitende erzählerisch aufbereitete Beobachtung sowohl zu einer Darstellung des Orts als auch zu einem Abbild desjenigen, der seinen eigenen Blick hier dokumentiert. 9 das ist ein Reiseporträt ebenso sehr wie ein Selbstporträt.

Ihr reduziertes Format, der serielle Aufbau und ihre Anordnung in Blöcken nimmt die einzelnen Photographien mit ihren individuellen Erzählungen zurück zugunsten der sich in der Serie illustrierenden konzeptionellen Idee. Hier erinnert der Umgang mit den Motiven an den Einsatz von Photographie in der konzeptionellen Kunst, der Spurensicherung und Bereichen der individuellen Mythologien. Zugleich bewirkt die Anlage zum Kachelfeld eine Betonung ornamentaler Qualitäten. In ihren besten manchen Fällen sind die 9 Aufnahmen einfach Typologien spezifischer Objekte, in anderen Reihungen, die als chronologische Folge gelesen werden können, in wieder anderen fügen sich die 9 Einzelbilder als konstitutive Musterstrukturen zu dem einen wohlgestalteten Gesamtornament.

9, 11qm, Juni 2017, 07

Ein ausgesprochen gut entwickeltes Ironiebewusstsein und der an umfänglichem Bildwissen geschulte Blick des Kunsthistorikers sind bei von Brauchitsch das Rüstzeug für Photographien, die zunächst wie lapidare Schnappschüsse erscheinen, um schließlich die Betrachteraufmerksamkeit mit komplex gestalteten Bilderzählungen zu bannen.

9 zeigt die untergegangene Schönheit Berliner Brandmauern, die inspirierende graphische Ordnung marokkanischer Wahlwerbung, die traumbildhafte Poesie apulischer Scheintüren, den Maßstäbe setzenden griechischen Beitrag zur konkreten Plastik (eat that documenta!), die Internationalität der Playa del Inglés als durchdachtes Entsorgungskonzept, ebenso wie die tiefe Traurigkeit spanischer Baumschändungen. Kurzum, hier gilt es die ganz großen Erzählungen in sorgsam abgezählten, kleinformatigen Bildern nachzuverfolgen.

Zu den amüsantesten Geschichten gehört zweifelsohne der Photoblock zur Stadt London. Es geht um die längst überfällige Feststellung, das Reiterdenkmäler dafür zu tadeln sind, dass sie Pferde von hinten zeigen. Und da dies in der Tat kein erbaulicher Anblick ist, existieren auch nur 5 statt 9 photographische Belege solchen Missstandes.

Dabei werden hier einmal mehr die engen kulturellen Verbindungen der abtrünnigen Briten mit dem so wenig geliebten Kontinent deutlich: 1979 präsentierte Daniel Spoerri in seinem Le Musée sentimentale de Cologne an zentraler Stelle einen riesigen in Bronze gefassten Pferdehintern und daneben den Kopf von Wilhelm III. Dies ist, was vom kriegszerstörten Reiterstandbild des Preußenherrschers letztlich in der Stadt verblieb und nicht in „Eifel und Westerwald eingeschmolzen“, als „Eier, Käse und Butter nach Köln“ zurückkehrte.*

Königskopf an Pferdepobacken – auch das ist schließlich eine auserzählte preußische Geschichte und ein zukunftsträchtiger Tipp für London.

Aber es sind schließlich auch die vielen Einzelbilder, denen nachzuspüren lohnt: Wie etwa das einer geschlossen sich präsentierenden Mauer in Barcelona, der von einem Vespaspiegel ein ebenfalls geschlossenes Dreibogenfenster einem Orden gleich verliehen wird. Zurück bleibt eine streng graphische Zeichnung vor malerischem Hintergrund mit traumhaftem Sujet.

9 das ist eine Reise für sich. Es ist eine konstruktive Anregung, den Blick zu rejustieren und ernster zu nehmen, was da so alles auch ins eigene Auge fällt. 9 das ist ein Buch und das ist eine Ausstellung. In Berlin wird daraus eine Installation, in der ein Raum als ein nach außen gestülpter Globus auftritt, auf dessen Längengraden sich die Erzählungen verorten. 9 das ist nichts weniger als die Welt im Maßstab von 9 auf 11m2.

Rafael von Uslar

9, 11qm, juni 2017, vernissage multi

* Daniel Spoerri: Le Musée sentimental de Cologne, hrsg. Marie-Louise Plessen, Daniel Spoerri, Wulf Herzogenrath, Köln, 1979, S.149

 

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