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Shelly Lasica und Tony Clark – REPRESENT

Shelley Lasica und Tony Clark
REPRESENT
Eine Performance von Shelley Lasica in der Villa Sino-Turk-Romana von Tony Clark für 11m2, Berlin Charlottenburg am 03.08.2018
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Tony Clark 24, 11qm, 2018
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Represent ist ein fortlaufendes gemeinschaftliches Projekt von Shelley Lasica und Tony Clark. Eigens für den Anlass geschaffene Teile von Clarks Myrioramen dienen einen Abend lang als Kulisse für eine Tanzperformance.
Seit 2013 wurde Represent in der Galerie Seippel in Köln, bei Murray White Room in Melbourne, in Privaträumen in Millitello auf Sizilien, sowie im Arboretum in Canberra gezeigt. Für jede Aufführung werden Performance und Kulisse für den jeweiligen Ort neu gestaltet.
Tony Clark - Shelley Lasica 10, 11qm, 2018
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Am 3. August 2018 wird Represent nun auch in den 11m2 in Berlin gezeigt. Hier entsteht eine Hybridisierung eines Myrioramas in eine „Sino-Turke“-Landschaft als eine Performance in der sie ihren Auftritt als Kulisse hat. Derweil wird sich der tänzerische Live-Act in einem verwirrenden Wechselspiel von Momenten des Innehaltens und kontinuierlicher Bewegungsdynamik entwickeln.
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Konzeptionell bezieht sich Represent auf die „Portland Vase“, eine berühmte, im antiken Rom in Überfangtechnik hergestellte Vase, die sich etwa auf den Zeitraum zwischen 1 v.Chr. und 25 v.Chr. datieren lässt. Nachdem sie im Jahr 1582 in Rom entdeckt worden war, gelangte sie schnell zu internationalem Ruhm. Seit etwa 1780 befindet sich die Vase in England, seit 1810 wird sie dort im British Museum ausgestellt. Josiah Wedgewood versuchte über viele Jahre hinweg eine Kopie der Vase in seinem berühmten Jasperware herzustellen, bis ihm dies schließlich 1790 auch gelang. Die öffentliche Präsentation der Wedgewood Kopie und das Bekanntwerden ihrer komplizierten Produktionsgeschichte erhöhten die Popularität der Vase und deren Ästhetik in erheblichem Maße. Vor einem dunkelblauen Hintergrund wurden in eine weitere, weiße Glasschicht in Kameentechnik, Bilder eingeschnitten, welche die Figuren in Architekturelementen und Landschaftsszenerien mit Bäumen zeigen. In seiner formalen Gestaltung zeigt
sich das Relief sowohl zwei- als auch als dreidimensional. Bemerkenswerterweise konnte während ihrer langen Rezeptionsgeschichte das ikonographische Bildprogramm der Vase in seiner Gesamterzählung nie schlüssig bestimmt werden.
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Für Represent nimmt Lasica den Figurenkanon der berühmten Glasvase zum Ausgangspunkt und nutzt dabei die Offenheit und Unklarheiten bezüglich der erzählerischen Zusammenhänge als Anlass für ihre eigene Version einer instabilen Erzählung.
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Tony Clark - Shelley Lasica 27, 11qm, 2018
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In der Villa Sino-Turk-Romana macht Tony Clark von dem gesamten, unterhalb der 11m2 angesiedelten „Garagen“–Raum Gebrauch. Mit großformatigen Malereien, die erstmals eine von historischem Meißner Porzellan inspirierte Farbpalette aufweisen, verwandelt er die Garage in den zur Villa gehörenden „Garten“. Anders als in früheren Fassungen von Represent, in denen Lasica sich an der Bildoberfläche als Aufführungsort orientierte und so tänzerisch eine Reliefstruktur entwickelte, öffnet sich Represent hier der Raumtiefe. Indem jedoch Lasica die Vorstellung von Relief aufrecht erhält, bahnt sie sich einen Weg in einen neuen, ungewöhnlichen Aufführungsraum.
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Rafael von Uslar
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Photos von Boris von Brauchitsch
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REPRESENT
A performance by Shelley Lasica at the Villa Sino-Turk-Romana by Tony Clark for 11m2, Berlin Charlottenburg, 03.08.2018
Represent is an ongoing collaborative project by Shelley Lasica and Tony Clark. Sections from Clark’s Myriorama are presented for one night as scenery for performances. Since 2013, Represent has been shown at Galerie Seippel in Cologne, Murray White Room, Melbourne, a domestic space in Millitello, Sicily and the Arboretum in Canberra. Each time it is shown it is remade for the particular situation.
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In August 2018 Represent will be presented at 11m2, representing a further hybridisation of the Myriorama into a Sino-Turquerie landscape as a performance, rendering them as scenery, whilst the live performance unfolds at once in suspension and continual momentum through time, always confounding.
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Conceptually, Represent refers to the “Portland Vase”—a famous piece of Roman cameo glass vase that is dated to between AD 1 and AD 25. Discovered in Rome in 1582 it quickly rose to international fame. From around 1780 the vase has been located in Britain, and since 1810 it has been on display at the British Museum.
Josiah Wedgwood spent years attempting to recreate a copy of the vase in his iconic Jasperware and finally succeeded in 1790s. The public display and production of the Wedgwood copy greatly increased the popularity of the vase and its aesthetic. A white relief is set against a black background displaying a scenery of figures, some of whom are interacting with one another, while others remain solitary. This circular narrative is played out continuously though the figures in architectural elements, landscape features and trees in an object that identifies as both two-dimensional and three dimensional. Throughout the objects history, the meaning of the object’s iconography has never been verified.
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Represent features a large scale Tony Clark painting as the scenery for a performance. The choreography of the object and its putative narrative become the performance. Taking the figurative inventory as a starting point, Lasica refers to the famous glass relief figurines, the shape of the narrative and the object itself as versions of an unstable story.
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At the Villa Sino-Turk-Romana Clark will make use of the entire “garage” space located underneath the 11m2 exhibition space. Defining the garage as the Villa’s extended “garden area”, Represent will provide depth through an aperture. As a consequence, the performance will transcend the idea of relief in
order to pioneer into a highly unusual theatrical space, collapsing the gallery, the garage and the street.
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Rafael von Uslar
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Leigh Bowery – The Serpentine Performance

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Photos: Gary Carsley

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Amin El Dib – Jacques

Mehr als ein Blick

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Jacques“, eine Installation von Amin El Dib

Amin El Dib bespielt die 11m2 mit einer fast den gesamten Wand- und Fensterraum erfassenden Installation, die in ihrer Gestaltung auf nur ein einziges Bildmotiv zurückgreift.

In einem quadratischen Format erscheint – in einer Schwarz-Weiß-Photographie – das Gesicht eines älteren Mannes, der lächelnd direkt in die Kamera blickt. Diese scheint ihm bedenklich nahe zu rücken so dass jede Falte, jeder Bartstoppel im Fokus erscheint. Die zwangsläufige Distanzlosigkeit wird durch den Bildausschnitt verstärkt, der kompromisslos Augen und Mundpartie in Szene setzt. Am rechten und linken Bildrand werden zwar Konturen des Kopfes sichtbar, in der kontrastreichen Lichtregie kommt diesen Details jedoch eine rein rahmende Funktion zu, als Licht- und Schattenkontrast. Der Bildausschnitt wirkt wie ein Zoom, eine technisch mögliche Nahaufnahme, die einen Blick auf das Gesicht eröffnet, der sich dem Gebot menschlichen Individualabstandes folgend in der Alltagswahrnehmung als unschickliche Nähe verbieten würde. Diese ungewöhnliche Nähe jedoch schafft im Gegenzug eine erstaunliche Distanz zu dem Abgebildeten als wahrzunehmender Person und rückt den von der Kamera eingefangenen, vom Bildausschnitt hervorgehobenen Gesichtsausdruck in den Vordergrund der Aufmerksamkeit. Im Zusammenspiel von Mund, Augen und Gesichtsmuskulatur ergibt sich ein Ausdruck, der in einem ersten Schritt als ein freundliches, mildes Lächeln deutbar scheint. Bei längerem Hinsehen jedoch wird man im Ausdruck der Augen eines Anfluges von Traurigkeit gewahr, der das Lächeln aus der Freundlichkeit in eine unerwartete Schmerzhaftigkeit entgleiten lässt. Beide, so scheinbar widersprüchlichen Eindrücke vermittelt die Photographie dauerhaft.

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Bei diesem Bild mit einer Detaildarstellung eines männlichen Gesichtes scheint es sich um ein Porträt zu handeln. Eine solche Vermutung liegt auch schon deshalb nahe, da der Titel auf einen Eigennamen und damit mutmaßlich auf eine Identifizierbarkeit des Dargestellten weist. Das Bild eines Kopfes oder einer Person ist meist dann mehr als das Bild, das einen Kopf oder Körper bzw. die Gestalt eines Menschen zum Gegenstand hat, wenn „die Individualität des Porträtierten zur Darstellung“i kommt. Es sollten die „Einheit der geistigen Individualität ausgeprägt und der geistige Charakter das Überwiegende und Hervortretende” sein. Dies empfiehlt eine Konzentration auf die Züge und Partien, „in welchen diese geistige Eigentümlichkeit sich in der Klarsten und prägnantesten Lebendigkeit ausspricht.“ii Dies scheint für die der Installation zugrunde liegende Photographie erst einmal uneingeschränkt zu gelten. Der Umgang mit diesem Bild jedoch zieht solche vermeintliche Eindeutigkeit wieder in Zweifel.

Stattdessen lässt sich vielmehr die weitaus spannendere Frage stellen, ob der Abgebildete auch tatsächlich als der Dargestellte im Vordergrund steht, oder ob er nicht allein als Bildanlass erscheint, während als der eigentliche Bildgegenstand die Ambiguität seines mimischen Ausdrucks in den Fokus rückt.

Amin El Dib zeigt „Jacques“ als ein auf transparenter Folie gedrucktes „Dia“ im Fenster und als ein in serieller Wiederholung zum Muster umfunktioniertes Grundmotiv einer Phototapete an drei der vier Wände des Ausstellungsraumes.

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Das Hochformat des Fensters wird von einem weißen Rahmen geschlossen, der das Quadrat des transparenten Bildes umschließt. das sich wandelnde Licht und damit auch sichtbare Elemente des Außenraumes verändern das Erscheinungsbild der Photographie beständig. in seiner in Teilen gegebenen Transparenz wird es zum „offenen Kunstwerk“, dass, indem es Licht und Raum in sich aufnimmt, selbst als Standbild eine gewisse filmische Qualität erlangt.

Als Tapete mit einem allein auf einer Photographie beruhenden Motiv bildet sich eine Musterstruktur, über die sich in steter Wiederholung aneinanderreihenden quadratischen Bildformen. Dazu kommen die, das Gesicht rahmenden Licht- und Schattenflächen, sowie die, sich in einer Art abstrakten Konstellation auflösenden Stellung von Augen und Mundpartie. In der Unzahl der Wiederholungen wird damit schließlich ein ornamental strukturiertes Kachelmuster sichtbar, innerhalb dessen, der porträthafte Charakter der Gesichtsdarstellung, zunächst einmal zurücktritt.

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Kunsthistorisch haben Porträts oder porträthafte Abbildungen in innerbildlichen Wiederholungen und in Serien im Werk von Andy Warhol ein wichtiges Vorbild. In dessen Werk jedoch hat neben den Bildmotiven die bildnerische Sprache des Künstlers, über die Eigendynamik von Schraffuren etwa und die Eigenständigkeit von Farbflächen, eine große Präsenz. El Dibs photographische Tapete hingegen bleibt, abgesehen vom Moment der Wiederholung, gänzlich bei der Gestaltung der ursprünglichen Photographie. Das wiederum hat Konsequenzen in der Wahrnehmung des Motivs als Muster. Dieses lässt sich zwar mit wenigen Blicken erfassen und doch tritt damit in der Anschauung keinerlei Beruhigung ein. Die Präsenz des photographischen Gesichtsbildes forciert eine genauere Betrachtung des verstandesmäßig als Muster längst Durchschauten. Das Auge forscht zunächst einmal einigermaßen rastlos auf der Suche nach möglichen Veränderungen, nach etwaigen minutiösen Variationen des Ausdrucks. Es folgt damit einer naheliegenden Erwartung oder Hoffnung auf ein quasi filmisches Ereignis, das in langen Einstellungen eine Unzahl von Bildern nicht in Bewegung, sondern in additiver Dauerpräsenz zeigen könnte. Und doch bleibt jegliche Hoffnung auf Veränderung und Variation enttäuscht. Zu sehen ist immer nur das immer gleiche Bild.

Damit sieht sich der Betrachter einem direkten bildlichen Blick ausgesetzt, der sich in unüberschaubarer Unzahl wiederholt. Ursprünglich, so lässt sich dies rational erschließen, ist es ein Blick, gerichtet auf die Linse einer Kamera, in einer nicht näher bestimmten zurückliegenden Zeit, an einem nicht näher bestimmten anderen Ort. Es handelt sich um ein auf Papier ausgedrucktes, Bild gewordenes vergangenes Ereignis. Und dennoch kann der Betrachter nicht umhin, diesen Blick als einen, im Moment seiner Betrachtung, auf sich als Person gerichteten wahrzunehmen. Jean-Paul Satre hat auf eindrückliche Weise die Scham beschrieben, die dem „Vom-Anderen-gesehen-werden“ folgt, unmittelbar bevor das eigene Universum im Abflussloch mitten im Sein des Anderen verrint.iii

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In der eigenen Wahrnehmung bleibt sich ein jeder so das Zentrum des Geschehens und in dieser Installation sind es die vielen Augen, die auf dieses eine Zentrum ausgerichtet sind.. Das eigenwillige dieser Erfahrung bleibt, dass noch die Augen längs der Wand, aus der Tiefe des Raumes ihre gleichzeitige Gerichtetheit demonstrieren. Es stellt sich ein Gefühl der Unbeherrschbarkeit und Desorientierung ein und so schafft diese Tapete in Bezug auf die Wahrnehmung des Blicks eine nachhaltige Überforderung.

Über das Erlebnis existentialistischer Blickerfahrungsdramen hinaus eröffnet die Installation zudem eine Perspektive auf ein weiteres, interessantes photographisches Phänomen. In der schier endlosen Wiederholung wird das ursprünglich Singuläre des photographischen Porträts aufgehoben und in eine unendlich fortsetztbare Musterstruktur überführt. Eigentlich bedeutet dies eine Abwertung des Bildes zum Muster. In der Wahrnehmung des Raumes jedoch ist zu beobachten, wie sich ausgerechnet in dieser Struktur eine Steigerung der Ausdrucksstärke des eigentlichen Bildgegenstandes erreichen lässt. Denn, nimmt man Abstand und konzentriert sich auf die Addition der je einzelnen Gesichtsabbildung und folgt ihnen mit der Distanznahme des Betrachters, nicht der des Betrachteten, dann erlebt man eine maßlose Steigerung der Ambiguität im Ausdrucks des Dargestellten.

Amin El Dib gestaltet mit seiner Installation „Jacques“ in den 11m2, mit einfachen Mitteln, einen Raum als physisch erlebbare Herausforderung an die Wahrnehmung eines einzigen photographischen Bildes.

Rafael von Uslar

i Hans Georg Gadamer: Die Okkasionalität des Porträts. In: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 1990, S. 149ff.

ii Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. In: Band 3, Werke 15, Frankfurt am Main 1990, S. 102.

iii Jean-Paul Satre: Der Blick, in: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Onthologie, Hrsg. von Traugott König, Hamburg, 2009, S. 457ff.

Pop-Up Kantstrasse

Für einzelen Projekte verlassen die 11m2 ihre großzügigen Räume in der Mommsenstrasse und öffnen anderenorts ihre Türen. For specific projects 11m2 leave their vast premises at Mommsenstrasse to open their doors elsewhere.
 11m2 Fenster rechts

Pünktlich zum Gallery Weekend stellten sich die 11m2 auf 111m2 mit einem „Sampler“ Pop Up Projektraum vor. Am Freitag, dem 28.04.2017, eröffneten wir ab 16:30 bis ca. 21:00 Uhr, in der Kantstrasse 147, am Savignyplatz, sehr zentral gelegen zwischen Uhland Apotheke und Schwarzem Cafè!

Während des gesamten Wochenendes präsentierten wir unseren Projektraum in einer Art Porträt, das zum einen auf vergangene Projekte verweist, deren Arbeiten nun zum ersten mal in einem Raum zeitgleich und nebeneinander zu sehen waren. Zum anderen gewährten wir einen Ausblick auf kommende Veranstaltungen und stellten einige der Künstler vor, die wir in diesem und im kommenden Jahr zeigen möchten.

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Und das bot der „Sampler“:
Von Troy-Anthony Baylis, einem indigenen australischem Künstler, der strickt, stellen wir frühe Arbeiten vor, die er als „First Queer and The Early Sunsets“ bei MyBerlinWall ausgestellt hatte.

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Leigh Bowery, der legendäre australische Performance Künstler wird mit einem Projekt von museologischem Rang in den 11m2 zu sehen sein. Der „Sampler“ gewährt einen Einblick in eines seiner Skizzenbücher in digitaler Form. Die meisten dieser Zeichnungen sind dabei überhaupt noch nie und nirgends gezeigt worden!

Der deutsche Photograph, Kurator und Autor, Boris von Brauchitsch, wird mit einem konzeptionellen, auf Phtotographie und Texten basierenden Rauminstallation, die nächste Ausstellung bei uns bestreiten. Zur Einstimmung zeigen wir einige ältere Photographien des Künstlers.

11m2 Boris von Brauchitsch.

Tony Clark, einer der einflussreichsten australischen Maler seiner Generation, documenta Teilnehmer, stellt für den „Sampler“, eine künstlerische Visitenkarte in Form eines, eigens für dieses Ereignis geschaffenen Selbstporträts vor. In einem wuchtigen Rahmen des 19. Jhd. tritt er somit als Poster Boy unserer Veranstaltung auf! Zeitgleich bespielt Tony das Fenster der 11m2 mit einer weiteren Malerei: „The Birds“.

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Gary Carsley ist zur Zeit mit seiner Installation für „The National 2017“ im MCA, Sydney, erfolgreich. Als Ankündigung seiner Projekte in der Mommsenstraße zeigt er eine großformatige Photographie eines seiner „versteinerten“ Stühle. Dieses, mit einem kulturanthropologischen Narrativ infizierten Möbel des 19. Jhd., stammt ursprünglich aus der Sammlung des Kunstgewerbemuseums Berlin.

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Friedrich Gräsel, einer der originellsten Bildhauer der westdeutschen Nachkriegsmoderne, ist mit einem Hauptwerk im öffentlichen Berliner Raum vertreten. Dieses jedoch vergammelt seit Jahrzehnten bis zur eigenen Unkenntlichkeit. Wir werden eine umfangreiche Auswahl seiner Graphiken zeigen in einen Kontext gerückt mit Werken internationaler Künstler, die sich Gräsel zum Thema nehmen. Unser wichtiges Ziel: „Gräsel-awareness!“

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Edith Kollath schafft Installationen und Skulpturen, von großer poetischer Wirkungsmacht. Unser Partner-Projektraum „Marterie“ in Offenbach, zeigt zur Zeit ihre Ausstellung „Addressable Volume“. Im „Sampler“ gewährt Edith einen Einblick darein, was einen Stein in seinem Innersten zusammenhält.

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Anny & Sibel Öztürk zeigen „Hans Arp“ aus ihrem grandiosen Sammlerkabinett für die 11m2 und eine Monstera Deliciosa als Verweis auf ihr nachhaltig beeindruckendes „unspeakable home“ für MyBerlinWall. Ein Jahr lang fand hier die einzigartige Überblendung von Adolf Hitlers Berghof mit dem großmütterlichen Wohnzimmer der Künstlerinnen in Istanbul statt. Wir bieten eine werkmonographische Publikation zu dieser Arbeit an.

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Lars Reimers und Mickaël Marchand gewähren einmal mehr Einblick in ihre Archive mit hunderten Photos ungewöhnlicher Installationen aus verlorenem Strandgut im öffentlichen Raum.

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Geo Reisingers großformatiges New York Panorama ist ein zweites mal in Berlin zu sehen. Anders, als in den 11m2 zeigt es sich in der Kantstrasse ein wenig offener. Einmal mehr bildet sich ein höchst ungewöhnlicher Ort in New York, an dem unbedingter ornamentaler Wille die Örtlichkeit bestimmt.

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Dirk Schlichting schafft aufwändige Werke im Stil der sogenannten „Realkunst“. Handwerklich erstaunlich aufwändig, verblüffen seine Arbeiten mit ihrem Hintersinn und einem sehr feinen Ironiebewußtsein. Dirk stellt sich für die 11m2 auf 111m2 passenderweise mit einer höchst kleinformatigen Installation vor.

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Klaus Staeck hat die politische Kunst der alten und der neuen Bundesrepublik geprägt, wie kein Anderer. Parallel zu dem bekannten, sehr umfangreichen Werkkomplex politischer Plakate, besteht ein wunderbares Universum von Collagen im Postkartenformat. In den 11m2 planen wir, den bislang umfassendsten Überblick, dieser bislang weniger bekannten Werkgruppe zu zeigen. Im Kontrast zu der schieren Unmenge von unikatär Papiergeschnittenem im Taschenformat, auf die wir in den 11m2 hoffen, zeigen wir nun zur Einstimmung zunächst einige wenige Motive.

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Der 11m2 Pop Up Sampler ist ebenso eine erste Bestandsaufnahme, wie auch ein Ausblick und schließlich die einmalige Gelegenheit, die vielen, aufeinander folgenden künstlerischen Einzelpositionen, einmal im räumlichen Zusammenspiel zu erleben.

Wir haben uns auf viele spannende Begegnungen an diesem Wochenende gefreut und hoffen sehr, die Freunde der 11m2 nach Kräften zu mehren. Deshalb auch unsere Bitte, die Einladungen zu unseren Vernissagen weiterzureichen und Menschen, zu deren Berufung im Leben es eigentlich auch gehören sollte, Freunde kurioser Projekträume zu sein, bitte einfach mitzubringen!

Ausstellungsdauer: 28. – 30. April

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Boris von Brauchitsch – 9

Die Welt im Maßstab von 9 auf 11m2

Boris von Brauchitsch 9 bei 11m2 Berlin

Um auf die gewaltige Flut privater Photos der immer gleichen Sehenswürdigkeiten zu reagieren, setzte mein Vater, der Knipser, sich die Regel, nichts zu photographieren, was er als Postkartenmotiv professionell abgelichtet erwerben könnte. Und so reihen sich an die Festmeter von Alben, gefüllt mit Bildern der immer gleichen Personen, die in den immer gleichen Situationen jedoch zu verschiedenen Zeiten abgelichtet wurden, zwei Bände mit Ansichtskarten.

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Um auf die gewaltige Flut privater Photos der immer gleichen Sehenswürdigkeiten zu reagieren, setzte sich Boris von Brauchitsch, der Photograph, das Regelwerk eines künstlerischen Konzeptes: An sämtlichen Orten, Städten und Landschaften seiner Reisen, wollte er fortan darauf verzichten, die bereits im Vorhinein sattsam bekannten Motive abzulichten. Stattdessen würde er sich auf die je eine Beobachtung einer Besonderheit am Ort konzentrieren und dieser die strikt beschränkte Anzahl von 9 Photos widmen. Den Bildern – als Quadrate formatiert und zu Blöcken angeordnet – wird ein essayistischer Text zur Seite gestellt.

In locker plauderhaftem Ton werden hier, angereichert mit allerlei Anekdotischem zur Reise und etwaigen Begleitern, die Motive aufgeschlüsselt, ihre Entdeckung dokumentiert und meist mit einem pointierten, kulturelle Analyse behauptenden Kommentar bedacht. Photoblock und Text zusammen ergeben so schließlich ein in sich abgeschlossenes Narrativ.

Boris von Brauchitsch stellt mit seinem Projekt die Frage, wer oder was wen legitimiert, etwas mit der Würde des Sehenswerten auszuzeichnen. Einer kollektiven Einigung auf einen möglichen historischen und kulturellen Konsens stellt er eine radikal subjektive Perspektive gegenüber. In 9 bestimmt von Brauchitsch im Alleingang, welchem Motiv repräsentativer Charakter für einen bestimmten Ort zukommt. Dabei wird das Detail, und die sie begleitende erzählerisch aufbereitete Beobachtung sowohl zu einer Darstellung des Orts als auch zu einem Abbild desjenigen, der seinen eigenen Blick hier dokumentiert. 9 das ist ein Reiseporträt ebenso sehr wie ein Selbstporträt.

Ihr reduziertes Format, der serielle Aufbau und ihre Anordnung in Blöcken nimmt die einzelnen Photographien mit ihren individuellen Erzählungen zurück zugunsten der sich in der Serie illustrierenden konzeptionellen Idee. Hier erinnert der Umgang mit den Motiven an den Einsatz von Photographie in der konzeptionellen Kunst, der Spurensicherung und Bereichen der individuellen Mythologien. Zugleich bewirkt die Anlage zum Kachelfeld eine Betonung ornamentaler Qualitäten. In ihren besten manchen Fällen sind die 9 Aufnahmen einfach Typologien spezifischer Objekte, in anderen Reihungen, die als chronologische Folge gelesen werden können, in wieder anderen fügen sich die 9 Einzelbilder als konstitutive Musterstrukturen zu dem einen wohlgestalteten Gesamtornament.

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Ein ausgesprochen gut entwickeltes Ironiebewusstsein und der an umfänglichem Bildwissen geschulte Blick des Kunsthistorikers sind bei von Brauchitsch das Rüstzeug für Photographien, die zunächst wie lapidare Schnappschüsse erscheinen, um schließlich die Betrachteraufmerksamkeit mit komplex gestalteten Bilderzählungen zu bannen.

9 zeigt die untergegangene Schönheit Berliner Brandmauern, die inspirierende graphische Ordnung marokkanischer Wahlwerbung, die traumbildhafte Poesie apulischer Scheintüren, den Maßstäbe setzenden griechischen Beitrag zur konkreten Plastik (eat that documenta!), die Internationalität der Playa del Inglés als durchdachtes Entsorgungskonzept, ebenso wie die tiefe Traurigkeit spanischer Baumschändungen. Kurzum, hier gilt es die ganz großen Erzählungen in sorgsam abgezählten, kleinformatigen Bildern nachzuverfolgen.

Zu den amüsantesten Geschichten gehört zweifelsohne der Photoblock zur Stadt London. Es geht um die längst überfällige Feststellung, das Reiterdenkmäler dafür zu tadeln sind, dass sie Pferde von hinten zeigen. Und da dies in der Tat kein erbaulicher Anblick ist, existieren auch nur 5 statt 9 photographische Belege solchen Missstandes.

Dabei werden hier einmal mehr die engen kulturellen Verbindungen der abtrünnigen Briten mit dem so wenig geliebten Kontinent deutlich: 1979 präsentierte Daniel Spoerri in seinem Le Musée sentimentale de Cologne an zentraler Stelle einen riesigen in Bronze gefassten Pferdehintern und daneben den Kopf von Wilhelm III. Dies ist, was vom kriegszerstörten Reiterstandbild des Preußenherrschers letztlich in der Stadt verblieb und nicht in „Eifel und Westerwald eingeschmolzen“, als „Eier, Käse und Butter nach Köln“ zurückkehrte.*

Königskopf an Pferdepobacken – auch das ist schließlich eine auserzählte preußische Geschichte und ein zukunftsträchtiger Tipp für London.

Aber es sind schließlich auch die vielen Einzelbilder, denen nachzuspüren lohnt: Wie etwa das einer geschlossen sich präsentierenden Mauer in Barcelona, der von einem Vespaspiegel ein ebenfalls geschlossenes Dreibogenfenster einem Orden gleich verliehen wird. Zurück bleibt eine streng graphische Zeichnung vor malerischem Hintergrund mit traumhaftem Sujet.

9 das ist eine Reise für sich. Es ist eine konstruktive Anregung, den Blick zu rejustieren und ernster zu nehmen, was da so alles auch ins eigene Auge fällt. 9 das ist ein Buch und das ist eine Ausstellung. In Berlin wird daraus eine Installation, in der ein Raum als ein nach außen gestülpter Globus auftritt, auf dessen Längengraden sich die Erzählungen verorten. 9 das ist nichts weniger als die Welt im Maßstab von 9 auf 11m2.

Rafael von Uslar

9, 11qm, juni 2017, vernissage multi

* Daniel Spoerri: Le Musée sentimental de Cologne, hrsg. Marie-Louise Plessen, Daniel Spoerri, Wulf Herzogenrath, Köln, 1979, S.149

 

Troy – Anthony Baylis – we’re justified and we’re ancient

Troy – Anthony Baylis – we´re justified and we´re ancient

18.Mai – 11.Juni 2016                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 scroll down for English version
^3E78C8C57C30DD48E2F722A8CB53F4018E9E294E9C50D110B2^pimgpsh_fullsize_distrFoto: Boris von Brauchitsch

Troy-Anthony Baylis ist ein indigener australischer Künstler, der strickt. Er ist darüber hinaus als Kurator, Autor und Kulturtheoretiker tätig.

Seine künstlerischen Arbeiten basieren in zunehmendem Maße auf kulturhistorischen Recherchen. Er verbindet Traditionen seiner Kultur, der Jawoyn in Australiens Northern Territory, mit Aspekten zeitgenössischer Kunst, Populärkultur und Queer-Theorie. Seine Auseinandersetzungen mit anderen zeitgenössischen Künstlern gestaltet er als kreative Dialoge. Dabei überzeugt vor allem die illustre Mischung seiner Gesprächspartner, wie etwa Rosemarie Trockel, Andy Warhol, Cary S. Leibowitz und Barbara Cartland!

In seiner Ausstellung we’re justified and we’re ancient zeigt Baylis mit Hey Ya! (2013) und Hey Ya!/Ay-O (2016) zwei im Wortsinne wahrhaft raumgreifende Skulpturen, welche die Form von  Mimi spirits nachahmen, um sie im „Mu Mu Land“ der 11m2 im freien Spiel lebendig werden lassen.1 Kräftig in ihrer Farbigkeit, stark gemustert sind sie doch weich und nachgiebig in ihrer Materialität, denn sie bestehen aus Wolle und wurden von Hand gestrickt. Ihre Körperhaftigkeit und spielerische Präsenz verleihen ihnen eine große Lebendigkeit. Dabei verbleiben sie in ihrer Darstellung ohne Abbildhaftigkeit, sie sind weder ein Tier noch ein Pflanze.2 In leuchtenden Farben entwickeln sich Musterstrukturen in die Höhe, die bei engem Strick dem Äußeren der Skulpturen eine an Reptilienhaut erinnernde Oberfläche verleihen. Die Muster erscheinen als in Schwingungen versetzte Bewegungen, seismographischen Aufzeichnungen nicht unähnlich und sind in ihrem Verlauf von einer fast filmischen Vorwärtsbewegung geprägt. Der Strick verleiht dem ganzen dabei eine an Pixel erinnernde Feinrasterung. In den Mustern dieser Erzählung gibt es immer wieder unerwartete Brüche und Wechsel mit unterschiedlich deutlich hervorgehobenen Schnittstellen. Solche Brüche können in verschiedensten Kulturen sehr Unterschiedliches bezeichnen. In den Raffia-Stickereien der zu den Kuba gehörigen Shoowa im Kongo etwa dokumentieren oft sehr abrupte Unterbrechungen im Muster Ortswechsel der stickenden Person.3 Sie werden aber ebenso in Verbindung gebracht mit Offbeat Phrasierungen in der afrikanischen Musik.4 Bei den Nordamerikanischen Pomo Indianern fungieren Abweichungen in den Ornamenten von Korbgeflechten als Ein-und Ausgänge der in den Ornamenten lebenden Geister.5 An all dies lässt sich ohne weiteres auch bei Hey-Ya! und Hey Ya!/Ay-O denken. Denn die Mimis sind altehrwürdige Geister und Trickster.6 Vor dem Erscheinen der Aborigines hatten sie Menschengestalt und bemalten Felsen. Nach ihrer Begegnung mit den Aborigines, denen sie so entscheidende Dinge, wie das Kochen und das Malen beigebracht haben, verwandelten sie sich in lange dünne Wesen. Sollte dies nun exotisch erscheinen, so sei daran erinnert, dass Flexibilität in der Erscheinungsform nicht nur Mimis vorbehalten ist, sondern schließlich auch in der westlichen Kultur eine große Rolle spielt: Von einer sich in einen Lorbeerbaum verwandelnden Dame, bis hin zu sprachbegabtem brennenden Unterholz und sich als liebenswerte Haustiere gebarende Höllengestalten.7 Im Zweifelsfall regeln Pharmazeutika Größenverhältnisse und Wahrnehmungsfragen: „go ask Alice!“

Foto: Boris von Brauchitsch

Ein komplexer Dialog zwischen Charles Strouse, Martin Charnin und Patti Smith sowie zwischen Troy Anthony Baylis und Cary S. Leibowitz bildet die Grundlage für Baylis zweite Installation Tomorrow.8 Leibowitz mit Text gestalteten Strickmützen wurden von Baylis mit traditionellen Dillybags der Aborigines gekreuzt um daraus hochgeschossene Wollskulpturen zu entwickeln, die sogar noch mehr Raum für Text bieten als die von Leibowitz gewählten Ski-Bommelmützen. Nachdem Baylis in Berlin einer auf „repeat“ eingestellten Coverversion des Liedes Tomorrow aus dem Musical Annie, interpretiert von Patti Smith, zu lange ausgesetzt war, kehrte er tief-traumatisiert nach Adelaide zurück, um den gesamten Liedtext auf Mützen zu stricken. Diese haben seitdem unterschiedliche Installationsformen erfahren. Die gesamte Arbeit war 2009 als ein an Richard Longs Steinkreise erinnernde Bodenskulptur in der Ausstellung Resonance, in Adelaide zu sehen und als eine, Elemente einer musikalischen Partitur aufnehmende Wandskulptur bei MyBerlinWall.

Troy Tomorrow Claus OriginalFoto: Claus Rottenbacher, Berlin      Ausstellungsansicht Troy-Anthony Baylis – Tomorrow / MyBerlinWall

Einzelne Elemente der Skulptur hat Baylis an geographisch höchst unterschiedlichen Orten in freier Natur photographiert und diese Bilder in einer ganzen Reihe von Ausstellungen gezeigt. In den 11m2 bewegt sich Tomorrow im lockeren Wechsel zwischen Wand und Raum. Dies erlaubt dem Betrachter der Skulptur unter ihren Mützensaum zu schauen und sich dabei gewissermaßen behütet zu fühlen. Die Skulptur ergeht sich in einem grau in grau. Ihre Installation jedoch fordert dazu heraus das Kinn zu heben, zu lächeln und zu lesen: „The sun will come out tomorrow. So you gotta hang on ´til tomorrow, come what may!“ Und da Bildbetrachtungen bekanntlich Zeit erfordern, stellt sich in der Betrachtung in etwa dass ein, was den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildete: Tomorrow auf „repeat“!

 

^40D2F6C358D33F2D614D44E16DAD5CF0771EDA4353F852DB99^pimgpsh_fullsize_distrFoto: Boris von Brauchitsch

Die Ausstellung we’re justified and we’re ancient wird ergänzt durch die Installation

First Queer and The Early Sunsets bei MyBerlinWall. link

Zur Ausstellung sind zwei Editionen erschienen.

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Rafael von Uslar

1 The KLF: Justified and Ancient (Stand by the Jams), 1991; Andrè 3000 für Outkast: Hey Ya!, 2003; Ay-O, der selbsterklärte „Rainbowman“, ist ein japanischer Fluxus-Künstler.

2 Am an animal and a plant ist Text und Titel einer Skulptur von Baylis aus dem Jahr 2008.

3 Diesen Hinweis verdanke ich Klaus Herford.

4 Robert Farris Thompson, African Art in Motion, Los Angeles, 1974, S. 10-13.

5 Claude Lévi-Strauss: Sehen, Hören, Lesen, Frankfurt am Main, 2004, S. 157.

6 Meine Information zu den Mimis verdanke ich der Website des Australian Museum und dem Katalog zu BOO! Aboriginal Ghost Stories And Other Scary Matter, kuratiert von Troy-Anthony Baylis, Tandanya, 2016 Adelaide Festival of Arts.

7 Zu den Dämonen siehe: Stefan Lochner: Weltgericht, Köln, 1435.

8 Tomorrow stammt aus dem Musical Annie: Charles Strouse (Musik), Martin Charnin (Liedtexte), Thomas Meehan (Buch), 1977. Die Coverversion von Patti Smith ist veröffentlicht auf Land (1975-2002), 2002.

 

 

Fotos: Geo Reisinger, Berlin        /Ausstellungsansicht Troy-Anthony Baylis – First Queer and The Early Sunsets/MyBerlinWall

 

 

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Troy – Anthony Baylis – we´re justified and we´re ancient

18.May – 11.June 2016

^CE429B086BFD8AFAD4F3BB9BE504744E20F9C25ED37154BE56^pimgpsh_fullsize_distrFoto: Boris von Brauchitsch

Troy-Anthony Baylis is an indigenous Australian artist who knits. Furthermore he works as a curator, author and cultural theorist. Increasingly his art-works are based on historically grounded cultural research. He connects traditions of his Jawoyn culture from Australia’s Northern Territory with aspect of contemporary art, popular art and queer-culture. The implementation of his engagement with the positions of other contemporary artist’s takes the form of a creative dialogue. The illustrious mixture of his dialogue partners though is particularly interesting. To name just a few: Rosemarie Trockel, Andy Warhol, Cary S. Leibowitz AND Barbara Cartland!

In his exhibition we’re justified and we’re ancient Baylis shows Hey-Ya! and Hey-Ya!/Ay-O, two truly space-consuming sculptures that channel traditional Mimi spirits, allowing them to come alive and play in the „Mu Mu Land“ of 11m2.1 Made from wool and hand-knitted they are vigorous in their colourfulness and strongly patterned, nevertheless they are soft and compliant in their materiality. Their bodily appearance and playful presence lends them great liveliness. Still their depiction remains without eminent likeness. Their pattern structures evolve in an upward movement and they seem neither an animal nor a plant.2 Tight knitting lends the external side of the sculptures a surface reminiscent of reptile skin. These patterns appear to be derived from oscillatory movements, not unlike seismographic recordings and appear to unfold in a film-like forward movement while the knitting overwrites it all with a pixelated raster..

The patterns of this narrative continue to show unexpected faceting. Such fractious, abrupt changes in patternation can signify various things in different cultures: In the Raffia stitching of the Shoowa (who are part of the Kuba culture in Kongo) abrupt changes in pattern document a change of location of the person stitching.3 They have also been connected to offbeat phrasing in African music.4 The North-American Pomo Indians introduce interruptions into the ornaments of their basket weaving as gateways to be used by the spirits who actually reside in these ornaments.5 All this can also be imagined in the context of Hey-Ya and Hey-Ya!/Ay-O! After all the Mimis are venerable spirits and tricksters. Justified AND ancient they had human form and painted rocks before the Aborigines appeared.6 After their arrival the Mimi changed into thin, elongated beings and taught the Aborigines such essential matters such as cooking and painting. Now if any of this should appear exotic it should be remembered that a fluidity in appearances also plays an essential role in Western mythology: From the transformation of a lady into a laurel tree to linguistically gifted underwood on fire and creatures from hell posing as cute pets.7 In case of doubt, “go ask Alice!“

A complex dialogue between Charles Strouse, Martin Charnin and Patti Smith as well as between Troy Anthony Baylis and Cary S. Leibowitz forms the basis of Troy-Anthony Baylis second installation Tomorrow 8.  Baylis interbreeds Leibowitz’s knitted hats that feature text with traditional Aboriginal dillybags into tall wool-sculptures that offer even more room for text than Leibowitz’s chosen ski- bobble caps. While in Berlin, Troy-Anthony Baylis got exposed to a cover version of the song Tomorrow from the musical Annie, interpreted by Patti Smith set on “repeat” for just too long. Deeply traumatized he returned to Adelaide only to knit the entire lyrics of this song on dilly-hats gone sculpture. These have since then been installed in many different ways. The entire work has been on show as a floor sculpture reminiscent of Richard Long’s stone circles. It became a wall work picking up on the formal aspects of a musical score at MyBerlinWall 9. Single segments of the work have been installed and photographed by Baylis at geographically quite diverse locations. These photographs have since then been presented in various exhibitions. At 11m2 Tomorrow shifts in loose fluctuation between wall and space. This allows the viewer to actually peep underneath the sculpture’s hat’s brim and feeling somehow be- hat -ed.

^6740AE17C60795C0A86E6BD5EA245364868F5E9F63B4C78993^pimgpsh_fullsize_distrFoto: Boris von Brauchitsch

While the sculpture refrains in grey on grey, its installation reprises with a stick up of the chin, a grin, only to exclaim: „The sun will come out tomorrow. So you gotta hang on ´til tomorrow, come what may!“ And as generally known the reception of art requires time. Thus the viewing of this installation reinstalls something that defined the very point of departure for this work: Tomorrow on “repeat”!

The exhibition we’re justified and we’re ancient will be supplemented by the installation First Queer And The Early Sunsets at MyBerlinWall.

Rafael von Uslar

1 The KLF: Justified and Ancient (Stand by the Jams), 1991; Andrè 3000 for Outkast: Hey Ya!, 2003; Ay-O, the self-proclaimed „Rainbowman“, is a Japanese Fluxus-artist.

2 Am an animal and a plant is text und title of a sculpture by Troy-Anthony Baylis from the year 2008.

3 I thank Klaus Herford for this information.

4 Robert Farris Thompson, African Art in Motion, Los Angeles, 1974, p. 10-13.

5 Claude Lévi-Strauss: Look, Listen, Read, New York, 1997, p. 170.

6 I owe my information on Mimi spirits to the web site of the Australian Museum and the catalogue for BOO! Aboriginal Ghost Stories And Other Scary Matter, curated by Troy-Anthony Baylis, Tandanya, Adelaide Festival Of Arts 2016.

7 In regard to cute demons see: Stefan Lochner: Weltgericht, Köln, 1435.

8 Tomorrow originates from the Musical Annie: Charles Strouse (music), Martin Charnin (song-lyrics), Thomas Meehan(book), 1977. The cover-version of Patti Smith was published on Land (1975-2002), 2002.

9 MyBerlinWall features works and installations of contemporary artists in a private context.

Anny und Sibel Öztürk – Das Auge des Sammlers

Anny und Sibel Öztürk

Das Auge des Sammlers

Eröffnung: 17.10.2014 ab 19 Uhr

 

11m2, mommsenstrasse 8, berlin

 

Fotos: Geo Reisinger, Sibel Öztürk

Anny und Sibel Öztürk
Das Auge des Sammlers

Für ihre Ausstellung Das Auge des Sammlers schaffen Anny und Sibel Öztürk ein intimes Sammlerkabinett. Auf 11qm gestalten sie Tableaus, die eigene Raumeinheiten entstehen lassen. Bilder realer Sammlerhaushalte und bekannter Kunstwerke werden zur materiellen Grundlage für fiktive Szenarien genommen. Wie in einer filmischen Abfolge eröffnet sich dem Besucher auf kurzen räumlichen Distanzen ein Raum nach dem anderen. Denn so überschaubar das Raumangebot des Ausstellungsortes auch sein mag, so vielfältig sind die Eindrücke unterschiedlicher räumlicher Zusammenhänge, welche die Künstlerinnen hier entstehen lassen.

Sammler haben ein sehr eigenwilliges Verhältnis zu den Dingen, die sie zusammentragen, meist, um sich mit ihnen zu umgeben. Nach Walter Benjamin ist „die wahre, sehr verkannte Leidenschaft des Sammlers … immer anarchisch, destruktiv. Denn dies ist ihre Dialektik: Mit der Treue zum Ding, zum Einzelnen, bei ihm Geborgenen, den eigensinnigen subversiven Protest gegen das Typische, Klassifizierbare zu verbinden. Das Besitzverhältnis setzt völlig irrationale Akzente.“1

In erster Linie bedeutet Sammeln sich Dinge anzueignen. Dabei geht der Zugriff auf den Gegenstand oder das Kunstwerk weit über den bloßen Erwerb, das Vom-Markt-Nehmen, hinaus. Ein Sammler stellt individuell geprägte Zusammenhänge her, denen er die Objekte seiner Begierde einfügt, sie unterordnet. Das einzelne Objekt steht nicht mehr für sich selbst, sondern ist immer auch Teil einer oder besser einer Vielzahl von Erzählungen, denen das Anliegen der Sammlung ein Leitmotiv verleiht.

„Der Besitz (ist) das allertiefste Verhältnis …, das man zu Dingen überhaupt haben kann“ Der Sammler eignet die Gegenstände seines Begehrens dem eignen Leben an macht sie zu einem Teil seiner Biographie. Sie werden für ihn zu einem Gegenstand der Selbst-Identifikation „er selber ist es, der in ihnen wohnt“.2 Diese Aneignung überformt den Blick auf den Gegenstand. Im Auge des Sammlers erscheint dieser daher stets im Filter der an ihn herangetragenen Bedeutung und biographischen Legendenbildung. Es ist dies eine „vollkommen phantasmagorische“ Form der Wahrnehmung, so wie sie Michel Leiris in seinem Essay „Das Auge des Ethnographen“ dem Durchschnittseuropäer, für dessen stets „durch seine weiße Mentalität“ gefilterte Sicht, auf außereuropäische Kultur attestiert.3

Anny und Sibel Öztürk machen diese überformende Aneignung der Bilder zum sichtbaren Anschauungsgegenstand und bestimmenden Thema ihrer Installationen. In diesem Projekt treten sie selbst als Sammlerinnen in Erscheinung. Ihre Bearbeitungen nehmen eigene Erzählzusammenhänge auf, um sie sogleich unmittelbar sichtbar, mit der bildlichen Syntax zu verweben – oder besser: zu verkleben. Schließlich bedienen sich die Künstlerinnen, neben verschiedenen Reproduktionstechniken, bevorzugt der Collage!

Picasso, Arp, Lichtenstein, Beuys, Polke, alles aus der einen Hand zweier Künstlerinnen, die in einem begehbaren Panorama, ihre Schätze und Kostbarkeiten ausbreiten und öffentlich zugänglich machen. Alles auf 11qm, in der Mommsenstrasse, in Berlin Charlottenburg.

Rafael von Uslar

1 Walter Benjamin, Lob der Puppe, in: Gesammelte Schriften, Band III, Hg. v. Hella Tiedemann-Bartels, Frankfurt a.M.,1991, S. 216.
2 Walter Benjamin, Ich packe meine Bibiliothek aus, in: Gesammelte Schriften Band IV-1, Hg. v. Tillman Rexroth, Frankfurt a.M.,1991, S. 396.
3 Michel Leiris, Das Auge des Ethnographen, in: Ethnologische Schriften Band 2, Hg. v. Hans-Jürgen Heinrichs, Frankfurt a.M., 1985, S. 34.

picasso11qm

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