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Moira Bushkimani – I am Fauna I am Flora
Die Ausstellung ist ein Projekt unseres Kooperationspartners Sana Sanaa: ein interkulturelles Austauschprogramm für KünstlerInnen zwischen Nairobi und Berlin. https://sanasanaa.com
KünstlerInnen aus Nairobi, die ihre Künstlerresidenz in Berlin wahrnehmen, erhalten zum Abschluss ihres Aufenthaltes die Gelegenheit in den 11m2 auszustellen. Diese Ausstellungsreihe eröffnet Moira Bushkimani mit: I am Fauna I am Flora, eine Installation basierend auf zwei Photoserien.
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Moira Bushkimani: I am Fauna I am Flora
Moira Bushkimani zeigt mit I am Fauna I am Flora, eine Installation basierend auf zwei Photoserien. Die titelgebende Fauna und Flora werden von zwei Frauen repräsentiert. Beide tragen denselben langen Rock aus einem blass-gelbem Stoff bei nacktem Oberkörper und Kopf- Gesichtsschmuck.
Die allegorische Inszenierung der Frauen in den Photographien greift auf eine Vielzahl kunsthistorischer und kultureller Referenzen zurück. Fauna zeigt sich als eine schwarze Frau deren bemaltes Gesicht in Teilen von einer Maske bedeckt wird. Vom Hals bis auf die Brüste und im Nacken auf dem Rücken erstreckt sich eine Malerei, die ein partielles Federkleid darstellt. Auf ihren Fingerkuppen trägt sie aus Kupferdraht geformten Handschmuck. Im Folgenden werden zur Einführung einige der möglichen Referenzen ausgewählter Bildelemente kurz skizziert um so eine Reihe von möglichen erzählerischen Anknüpfungspunkten sichtbar zu machen.
Federschmuck
Die in weißer Farbe auf dunkler Haut angelegte Federmalerei erinnert formal an die mehrlagigen Spitzenkragen wohlhabender weißer Damen in den holländischen Porträts des „Goldenen Zeitalters“. Diese aufwändig gestalteten, in hellem weiß erstrahlenden Spitzenarbeiten signalisierten Reichtum und boten den Gesichtern der Dargestellten im Bild eine theatralische Rahmung. Sie hoben zugleich in besonderem Maße den blassen Teint der Damen hervor. Es ging um Pomp und Weisheit! Die Federmalerei stilisiert Fauna zu einer exotischen Erscheinung. Die Verbindung von Exotik und schwarzer Haut kann so auf eine Tradition innerhalb der westlichen Welt verweisen in der zur Selbst-Bereicherung das Exotische angeeignet und exponiert wurde und wird. Die diskrete Verbindung von bürgerlichem Pomp und Spezies-übergreifender Exotik ist darüber hinaus ein kluger Verweis auf die Menschen, die mit ihrer Freiheit und ihrem Leben längst nicht nur für das Gold des Goldenen Zeitalters bezahlt haben.
Maske
Die Maske der Fauna setzt sich zusammen aus einem dem Gesicht aufgesetztem Objekt und einer, dieses Objekt ergänzenden Bemalung der Haut. Grundlage des Gesichtsaufsatzes bildet ein beschichtetes Metallstück mit Ösen, in dem zwei große, runde Öffnungen, die wie eine überdimensionale Brille die Augen weiträumig rahmen. Es handelt sich um den Teil einer Dichtung eines Motors, der oberhalb der Augenpartie mit einigen Federn und einer Kupferapplikation geschmückt wurde. Solch applizierter Zierrat steht zur Motorendichtung im starken Kontrast und vermag doch das Gebilde in seiner Gesamtheit wie eine Art Fascinator fürs Gesicht erscheinen lassen.
Die Gesichtsbemalung ergänzt den Gesichtsaufsatz. Sie beschreibt eine klare Form, deren Konturen sich von der sie rahmenden dunklen Haut absetzten. Die kreisrunden Öffnungen geben den Blick frei auf eine Malerei in weißer Farbe, welche die Augen als Ellipsen freistellt. Das weiß reicht über das Objekt hinaus und wird mit schwarzer Farbe komplettiert. Auf dieser erscheint eine weiße Linie, die von der Nasenspitze über den Mund zu Kinn verläuft und an den Wölbungen dieser Körperteile ihre Brechungen erfährt. Diese Maske schließlich verleiht dem Gesicht der Fauna, eine, an das Erscheinungsbild einer Eule erinnernde Gestalt. Dieser Eindruck wird von dem Federkragen eindrücklich unterstützt.
Die Gummi-beschichtete Metalldichtung jedoch erinnert mit ihren großen kreisrunden Auslassungen um die Augen an den ebenfalls kreisrunden Glasschutz von Pesthauben und Gasmasken. Diese Referenz an natürlichen und industriellen Tod innerhalb der Konstituierung des Bildes einer Spezies verändernden Naturerscheinung sind der eine kulturell interessante Kommentar dieser Maske, das Blackface im schwarzen Gesicht ist der andere.
Whiteface
An dieser Stelle sollte auch kurz die Rede von Flora dem Gegenüber von Fauna sein. Die Frau, die in Moira Bushkimanis Serie die Flora verkörpert ist kaukasischer Herkunft. Oberkörper Gesicht und Haare sind vollständig geweißt. Anders als Fauna tritt sie nicht als Verkörperung von Flora auf, sondern als die Gestalt einer Flora, der das Floristische in Form natürlicher Attribute beigegeben wurde.
Das Weißen der Körper von Weißen hat verschiedene Traditionen begründet. Es gewann an sinnstiftender Präsenz vor allem in den Tableaux vivants bürgerlicher Salons, in denen Herren und Damen der Gesellschaft neben Szenen berühmter Gemälde auch bekannte Skulpturen und Skulpturengruppen nachstellten. Um den Körpern zu erlauben das Erscheinungsbild von Marmor zu vermitteln, wurde zu weißer Farbe gegriffen, zu Kreide oder gar zu fein gemahlenem Marmorstaub. Bekanntlich leitet sich das Posieren in der Photographie ganz wesentlich von dieser erbaulichen gesellschaftlichen Aktivität ab. Da Weißsein vor allem eine soziale Determinante darstellt wird da, wo Blässe als vornehm gilt, gern zu Puder und Make up gegriffen oder gar zum chirurgischen Eingriff.
Hautfarben
Die Erfindung einer Farbenlehre von Hautfarben als sozialer Konstruktion ist bekanntlich eine historische Leistung der Aufklärung. Sie ist in jeder Hinsicht problematisch, vor allem aber empirisch in keiner Weise verifizierbar. Erst, wenn tatsächlich Farbe ins Spiel kommt, werden Realitäten geschaffen. Das zeigen sowohl das Blackface als Möglichkeit sogenannter Weißer um Erscheinung und stereotypisiertes Verhalten von Menschen dunklerer Hautfarbe nachzuahmen. Dieser Nachahmungsakt ist fast immer zum Nachteil der Nachgeahmten intendiert. Dazu gehört im Gegenzug das Aufhellen dunkler Haut, zwar auch ein Nachahmungsakt, der sich allerdings den Nachgeahmten gegenüber meist ausdrücklich positiv und affirmativ verhält.
Und während Whiteface für eine Weiße, wie eben ausgeführt, gar nicht so ungewöhnlich ist, hat Blackface für eine Schwarze eine ganz andere Qualität, was der direkte Blick von Fauna in die Kamera zusätzlich unterstreicht.
An animal and a plant
Mit I am Flora I am Fauna tritt Moira Bushkimani dem Dialog zweier indigener Australischer Künstler bei und erweitert damit einmal mehr den kunsthistorischen und kulturellen Horizont ihres Projektes. Ein Dialog, der erst kürzlich im Zentrum der Installation Schutznmantelmadonnamimi von Troy Anthony Baylis stand. Baylis reagierte mit einem Dilly – Objekt, mit Text auf eine Wandinstallation von Vernon Ah Kee mit dem Text: „Not An Animal Or a Plant“. Er bezog sich damit auf ein Referendum aus dem Jahr 1967, in dem die Bevölkerung von Australien dafür stimmte, dass Aborigines den Menschen zuzurechnen seien und nicht, wie zuvor, der Flora und Fauna. Baylis Dilly zeigt den Text: „am an animal and a plant“. Er besetzt so die freigewordene Leerstelle mit einem alternativen Identifikationsentwurf. Moira Bushkimani nimmt zwar diesen Aspekt der freiwilligen Identifikation mit Flora und Fauna auf, verteilt sie jedoch auf die zwei Rollen Flora und Fauna die sie von zwei verschiedenen Frauen personifizieren lässt. In ihrer Bildersprache knüpft sie dabei an europäische Traditionen an.
Im Aufeinandertreffen der beiden als Allegorien tätigen Damen wird dabei jenseits aller angedeuteter kulturellen und historischen Bezüge und Themen auch deutlich, dass jeder Mensch für sich sowohl Flora wie auch Fauna annehmen könnte und der Akt einer Ver-Körperung legt schließlich auch den schönen Gedanken nahe, dass es möglich sei, das Darzustellende womöglich im eigenen Körper zu entdecken und damit in gewisser Weise wiederzufinden.
Rafael von Uslar
Installation Photos: Michael Maria Müller and by the artist
Elisabeth Leyde – Weisssehen
Weisssehen: Alles unbunt, nur kein Weiß

Photos by Boris von Brauchitsch
Die 11m2 zeigen eine ungewöhnliche Installation der Berliner Künstlerin Elisabeth Leyde:
Weisssehen. Unter der Decke des Raumes schwebt ein Band von Papierarbeiten, denen die Stuckeinfassung als ornamentaler Rahmen dient. Die Ausstellung erschließt sich mit einem streng in den Nacken gelegten Kopf oder auf dem Boden liegend die Decke fest im Blick.
Elisabeth Leyde zeigt Silberstiftzeichnungen mit Teilrelief. Es sind bildhauerische Arbeiten am Papier, die mit den Mitteln der Zeichnung auf der Papieroberfläche ihre Fortsetzung finden. Die Reliefstrukturen bestimmen zunächst Aufbau und Gestaltung des Bildraumes.
Da, wo die Papieroberfläche allein die Spuren der Bearbeitung zeigt, Aufrauhungen, leichten Abrieb, entstehen die differenziertesten Strukturen der Zeichnungen. In einem freien Wechselspiel zwischen organischen Anmutungen und geologischen Beschaffenheiten, können sie ebenso an die Oberflächen von Haut und Häuten erinnern, wie an Abdrücke und Erhebungen in feinkörnigem Sand.
Die mit einem Silberstift ausgeführten Zeichnungen stellen eine Interpretation der im Papierrelief gefundenen Formen dar. Sie füllen Flächen, besetzten Zwischenräume und fügen so das Relief in eine von der Zeichnung bestimmte Bildfigur ein. Was dieser Eingriff bedeutet, zeigt sich am besten an den Stellen des Reliefs, den die Zeichnung auszulassen in der Lage ist.
Die Binnenzeichnungen sind als engmaschige Musterstrukturen angelegt. Als kleinteilig organisierte Schraffuren fügen sie sich zu je eigenen Einheiten zusammen in denen sowohl die Dichte, als auch die jeweilige Ausdehnungen des Strichverlaufs variieren können. In größeren Flächenzusammenhängen arbeiten sie mit Auslassungen, die unbearbeitetes Papier zur Form werden lassen. In deren Gestaltung orientieren sie sich an der Formgebung der Reliefstrukturen, korrespondieren mit diesen, ahmen deren Konturen abbildend nach.
Dabei dokumentieren die Silberstiftlinien in sich jeden einzelnen zeichnerischen Gestus. Oftmals ist das Ansetzen des Stiftes ebenso deutlich auszumachen, wie der Nachdruck mit dem die einzelne Linie geführt wurde. So entstehen Akzentuierungen im Linienfeld, die sich innerhalb der Gesamtform als eigene Muster aufeinander beziehen lassen. Bisweilen laufen aber auch einzelne Stricheinheiten im Detail der Gesamtstruktur als Fehler „in den Mustern der Erzählung“ zuwider.
Die zeichnerische Ergänzung verhält sich mal dialogisch zu den Reliefstrukturen, in anderen Fällen überschreibt sie deren Vorgaben um sie in eine neue Gesamtform zu überführen. Da die Zeichnungen stets ornamental angelegt sind, ergeben sich – trotz aller zu erwartender Leichtigkeit der stark zurückgenommenen Silberstiftzeichnungen – erstaunlich massive Gebilde. Was auf den ersten Blick sehr offen und ephemer scheinen konnte, legt sich in klar definierten Formen fest, die jeweils durch eine eindeutig nachvollziehbare Gestalt bestimmt werden.
Die einzelnen Formen orientieren sich in ihrer Ausdehnung meist an einem immer ähnlichem Blattformat, was sie meist auszufüllen scheinen. Bei Weisssehen kommen einige größere Papierträger hinzu, die vergleichbare Formengebilde in ähnlichen Größen aufweisen. Sie werden mit den Einzelblattzeichnungen kombiniert, teilweise von diesen überlagert, sodass sich in einer langen Welle, ein Strom von Zeichnungen unter der Decke der 11m2 zu ergiessen scheint.
Hier verfangen sich Licht und Blicke in den Oberflächen der Papierstrukturen, die Schraffuren der Zeichnungen scheinen als eine Vielzahl gesetzter Silberstreife auf. Formen entwickeln sich, wachsen in- und gegeneinander, verschränken und verlieren sich. Auch wenn sich also in der Anschauung eine Menge ereignet, eins ist nicht zu sehen, nirgends: Weiß!
Denn in vielerlei Hinsicht ist das Weisssehen das Schwarzsehen mit anderen Mitteln. Ausstellungen internationaler Institutionen in der zweiten Hälfte des 20. Jhd. haben belegt, dass in der Kunst sehr wenige Werke, die sich den Farbton „schwarz“ zu Gegenstand und Abbildung machen, dann auch tatsächlich in der Anschauung als schwarz erscheinen. Dem Weiß als Bildgegenstand geht es selten anders. Insofern hat dass Weissehen wiederum Entscheidendes mit der Weissagung gemeinsam: Den inhärenten Mangel an Zuverlässigkeit!


FensterGalerie

Kay Rosen
Zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen am 22. und 23. April 1945.
Kay Rosen: Remember, 1995
Eine Grabschleife in den Farben schwarz, rot, gold. Dies sind die Farben der Befreiungskriege, des Deutschen Bundes, der Frankfurter Nationalversammlung und schließlich der Weimarer Republik. Nach einem ebenfalls traditionsreichen schwarz, weiß, rot Intermezzo sind es die Farben der beiden deutschen Nachkriegsstaaten, BRD und DDR. Schließlich, seit der Wiedervereinigung 1990 auch die, der heutigen Bundesrepublik Deutschland.
Folgen die Farben in der Flagge der Bundesrepublik in Streifenform einer horizontalen Anlage, so sind Kranzschleifen, die das Flaggenmotiv zitieren, traditionell vertikal ausgerichtet. Kay Rosen nutzt die aufeinanderfolgenden Farbfelder zu einer Gruppierung der Buchstaben RE auf gold, MEM auf rot und ER auf schwarz.
Eine Kranzschleife ist der Ort für letzte Grüße, für feierliche Erklärungen eines ewigen Angedenkens, die Bekundung hoher Achtung, kurzum, es geht um eine Beschwörung des Niemalsvergessens, der manchmal auch schlicht die Nennung von Eigennamen reichen. An diesem Beschwörungsritual nimmt Remember teil. Die Nationalfarben eröffnen dafür die Arena der kollektiven „Erinnerungskultur“. Das einzeln gestellte Wort wiederum läßt sich als Absichtserklärung oder als Imperativ verstehen.
„Remember“ ließt sich ohne Schwierigkeiten. Sichtbar wird, bei genauerem Hinsehen, eine nicht sichtbar gemachte Leerstelle für das fehlende „B“, über das jedoch das lesende Auge bereits bereitwillig hinweg gesehen hat.
Von der Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von Erinnerungslücken, vor allem aber von der großen Bereitschaft, jederzeit über diese hinweg zu gehen, handelt dieses Multiple.
Erschienen ist Remember 1995 Kay Rosens Beitrag zur Ausstellung Zimmerdenkmäler in Bochum. Anlässlich des erstmalig von der Stadt Bochum organisierten Besuches ehemaliger jüdischer Mitbürger und Überlebender des Holocaust, wurden Bochumer BürgerInnen aufgefordert, einen Platz in ihrer Wohnung zu schaffen, den sie als eine symbolische Geste den Gästen anbieten, die vormals einen Ort in dieser Stadt ihr Zuhause nannten. Diese raumgebenden Gesten wurden sichtbar gemacht durch Kunstwerke, die für die Dauer des Besuches, eine Woche im September 1995, öffentlich zugänglich waren.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Rafael von Uslar.
Es erschien ein Katalog mit Photographien, der in den Wohnungen realisierten Installationen, von Candida Höfer:
Zimmerdenkmäler, Essen, 1995.
Zum Besuch und zur Ausstellung erschien eine, von Hans-Peter Feldmann mit Photo-Collagen illustrierte Dokumentation: Vom Umgang mit der Geschichte, Essen, 1996.
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen sind von der S-Bahnstation Savignyplatz zu erreichen mit der S9/S1, Fahrtzeit: 1 Std. 30. Min.

Shelly Lasica und Tony Clark – REPRESENT
Eine Performance von Shelley Lasica in der Villa Sino-Turk-Romana von Tony Clark für 11m2, Berlin Charlottenburg am 03.08.2018


sich das Relief sowohl zwei- als auch als dreidimensional. Bemerkenswerterweise konnte während ihrer langen Rezeptionsgeschichte das ikonographische Bildprogramm der Vase in seiner Gesamterzählung nie schlüssig bestimmt werden.

A performance by Shelley Lasica at the Villa Sino-Turk-Romana by Tony Clark for 11m2, Berlin Charlottenburg, 03.08.2018
order to pioneer into a highly unusual theatrical space, collapsing the gallery, the garage and the street.

Hans Georg Berger – VIPASSANA MOVEMENT
HANS GEORG BERGER:
This natural faculty transforms ignorant people into skilful people and makes already skilful people even more skilful:
VIPASSANA MOVEMENT

Ausstellungs -und Veranstaltungsansichten: Boris von Brauchitsch/Berlin
Hans Georg Berger ist ein Konzeptkünstler, der sich des Mediums der Photographie bedient. Er entwickelt Langzeitprojekte in denen er sich auf andere Kulturen und Religionen einlässt. Hierzu gehören photographische Untersuchungen zum Theravada Budhismus in Burma, Kamboscha, Laos und Thailand und eine Langzeitstudie zum Shiismus im Iran.
In diesen Begegnungen tritt er erklärtermaßen als ein Lernender auf, mit der Einladung an sein Gegenüber Wissen und Einsichten zu teilen. So eröffnet er einen Arbeitsprozess, in den er die Menschen, die er zu Protagonisten seiner Arbeiten macht, mit einbezieht. Es ensteht ein Verhältnis, in dem gegenseitiges Vertrauen die Grundlage für eine gemeinsame Arbeit bietet. Den budhistischen Mönchen in Laos zum Beispiel legte er seine, in der Begegnung mit ihnen entstandenen Photographien, immer wieder vor und machte deren Kritik, Lob und Anregungen zur Basis seiner weiteren Arbeit vor Ort.
So entstehen bedeutende interkulturelle Projekte, die als Soziale Plastiken agieren, ganz im Sinne von Joseph Beuys.
Der traditionelle europäische Blick auf außereuropäische Kulturen ist geprägt von anthropologischen und vor allem ethnographischen Perspektiven. Die Abgebildeten sind Objekte der analysierenden Beobachtung, möglicher Gegenstand von Forschung.
Hans Georg Berger hingegen gelingt mit seiner künstlerischen Strategie ein entscheidender Perspektivwechsel: Indem er seine Arbeit für Kooperation, Kritik und Einflußnahme öffnet, ermöglicht er denen, die er photographiert, die Möglichkeit zur Selbstdarstellung. Dies enthebt sie der passiven Rolle als Betrachtungsgegenstand zu fungieren und bindet sie in das Wechselspiel von Bildregie und Autorenschaft der Photographien mit ein.
Auf der Grundlage ihrer langlährigen Zusammenarbeit mit Berger luden ihn die Mönche zu einer Wiederbelebung der Vipassana Meditationen in einem Wald, nahe des Klosters Vat Phone Pao ein.
In den Jahren 2004 und 2005 nahm Berger an diesen Vernastaltungen als ein künstlerischer Chronist teil. Auf diese Weise entstand ein bemerkenswertes Konvolut von schwarz/weiß Photographien, aufgenommen mit einer analogen Hasselblad Kamera.
Als Teil des von France Morin initiierten Projektes The Quiet in the Land, in Luang Praban, Laos von 2004 bis 2008, werden Bergers Photographien seit 2006 unter dem Titel The Floating Buddha im Luang Prabang National Museum als Dauerinstallation präsentiert.
Ein weiteres Projekt das in Kooperation mit The Quiet in the Land entstand, ist ein Handbuch zur Einführung in die Vipassana Meditation, das 2006 in Laos veröffentlicht wurde. Zu den Einweisungen des Abtes Phra Ajan One Keo Sitthivong photographierte Hans Georg Berger die beispielhaften Meditationen junger Mönche in sämtlichen einzelnen Bewegungsschritten, diesmal freihändig mit einer Digitalkamera und in Farbe. Als ein „Handbuch für die jungen Menschen in Laos“ wird diese Publikation von der Laotischen Nationalbibliothek kostenlos im ganzen Land verteilt. Eine Soziale Plastik mit Schulbuchqualität im Wortsinne!
Diese als Leporello gestaltete Publikation bildet den Ausgangspunkt für Hans Georg Bergers Installation in den 11m2. Die Ausstellung konzentriert sich auf die Vipassana Movements, eine Meditation in zwei Phasen. Am Ende der zweiten Phase steht die Instruktion zur Wiederholung beider Phasen. Diesem Hinweis folgt die Installation und zeigt die Photos des beispielhaft meditierenden Mönch als einen endlosen Fries. Vervollständigt wird das Ensemble durch eine Photographie von Vier Meistern, einer von ihnen ist Phra Ajan One Keo Sitthivong, Autor des Handbuchs. Auf der „Bühne“ der 11m2 schließlich liegt eine Meditationsmatte aus Laos. Während die Photos des meditierenden Mönchs an der Wand zu einer Art Meditation der Betrachtung einladen, einem rein visuellen und kognitivem Nachvollzug, fordert diese Matte die BetrachterInnen heraus, dem Mönch in seiner Meditation in einer physischen Einlassung des Körpers und einer psychischen des Geistes zu folgen.
Rafael von Uslar
Der buddhistische Abt Phra Ajan One Keo Sitthivong ist der Autor von “FIRST STEPS OF VIPASSANA MEDITATION. A GUIDE FOR YOUNG PEOPLE IN LAOS”, einem als Leporello gestalteten Lehrbuch zur Vipassana Meditation, das Hans Georg Berger mit einer Vielzahl von Farbabbildungen, als eine Schritt für Schritt Anleitung zum eigenständigen Lernen illustriert hat. Phra Ajan One Keo Sitthivong nahm vom 18.06 – 20.06. 2018 in Berlin an einer Konferenz des Auswärtigen Amtes im Rahmen des Projektes „Friedensverantwortung der Religionen“ teil. Seine erste Auslandsreise führte ihn in Berlin auch in die Ausstellung Hans Georg Berger: Vipassana Meditation in den 11m2.
Es war allen Beteiligten eine besondere Ehre, den Mönch auf einer, aus Laos eingeflogenen Meditationsmatte sitzend, im Gespräch bei Tee zu erleben. Es war eine bewegende Begegnung mit einem überaus freundlichen Mann, der von den Lehrtätigkeiten in seinem Kloster berichtete. Als besondere Geste umschloß er die Handgelenke aller Anwesenden mit einem Wollfaden in exquisitem Orange!
Ein großer und außergewöhnlicher Glücksfall für die 11m2 und unsere Gäste, Phra Ajan One Keo Sitthivong und Hans Georg Berger in einer Ausstellung, die sich wesentlich ihrer langjährigen Zusammenarbeit in Laos verdankt, gemeinsam in Berlin erleben zu dürfen!
Amin El Dib – Jacques – Mehr als ein Blick
Amin El Dib
Jaques
Mehr als ein Blick
11m2 und C-Editions präsentieren die erste gemeinsame 11m2 Publikation. Das hochwertig gedruckte, schmale Büchlein im Format 23 x 23cm enthält eine Edition von Amin El Dib. Das Motiv: Jacques! Gedruckt von Artificial Image. Text: Rafael von Uslar
Die Auflage: 25 signierte und nummerierte Exemplare.
€ 100

Garagenakademie mit Hans Georg Berger

Amin El Dib gestaltet mit seiner Installation Jacques in den 11m2, mit einfachen Mitteln, einen Raum als physisch erlebbare Herausforderung an die Wahrnehmung eines einzigen photographischen Bildes. In scheinbar zahlloser Wiederholung wird der Ausschnitt eines Gesichts zum Gegenüber, in dem einem Lächeln des Mundes der traurige Ausdruck der Augen wiedersprechen. Der Bildheld richtet seinen Blick direkt auf die Linse einer Kamera, die ihm wiederum viel zu nahe kommt. Im Photo wird dieser Blick an den Betrachter weitergereicht. Nun gilt es, beidem zu begegnen, der Nähe der Kamera und der Unmittelbarkeit des Blicks – und all das im Angesicht eines unausweichlichen „all over“.
Hans Georg Berger hat die Kultur des Dialogs auf beeindruckende Art und Weise zur Grundlage seiner Arbeit gemacht. In seiner Zusammenarbeit mit dem französischen Schriftsteller und Photographen Hervé Guibert entstand nicht nur ein von großer Intimität geprägtes Dokument einer Freundschaft, sondern auch ein photographisches Projekt das auf der Grundlage einer zwischenmenschlichen Beziehung das Prinzip von Autorenschaft hinterfragt.
Eines der größten Themen seiner Arbeit ist die Erkundung der Weltreligionen und ihrer Lehrsysteme. „ Mit Sensibilität und im stetigen Dialog mit den Dargestellten näherte er sich den Gebräuchen des Theravada Buddhismus in den Klöstern von Luang Prabang oder dem schiitischen Islam in Iran, ließ sich dabei respektvoll auf Darstellungskonventionen ein, begleitete Traditionen und Rituale mit großer Ernsthaftigkeit und erfasste sie mit der Kamera.“[1]

Leigh Bowery – The Serpentine Performance
The Serpentine Performance
London 1989
Leigh Bowery, Nicola Bateman and Pearl
Ein Film von Dick Jewell
+
Skulpturale Elemente der Serpentine Performance
Aus dem Nachlass von Leigh Bowery
Leigh Bowery ist einer der innovativsten und einflußreichsten Künstler der jüngeren Vergangenheit. Und doch ist das meiste, was von seiner künstlerischen Arbeit bekannt ist, überliefert durch Werke von Künstlern, die Leighs Arbeit zu ihrem Gegenstand nehmen. The Serpentine Performance hingegen zeigt Leigh Bowerys eigene Werke als Objekte. Damit soll untersucht werden, in welchem Verhältnis Radikalität und ephemere Aspekte seiner Arbeit und der von ihm verwandten Materialien, zu der konzeptionellen Sprache der Skulptur des späten 20. Jahrhunderts stehen.
The Serpentine Performance bezeichnet dabei ‚als Skulpturen’ die von Leigh Bowery geschaffenen Gewänder und zeigt sie im Zusammenhang mit der gleichnamigen Videoarbeit seines Künstlerkollegen Dick Jewell. Hergestellt mit der teilweisen Unterstützung seiner langjährigen Mitarbeiter Nicola Bateman und dem Korsett-Meister, Pearl, bestehen die skulpturalen Elemente von The Serpentine Performance aus einem korsettiertem Ganzkörper- Bodysuit aus rosfarbenem Satin und einer blass-hellgrünen Kopfbedeckung mit einer kugelförmigen, mit rotem Strass besetzten Nase, mit Tischtennisbällen aufgepolsterten Augenliedern und einer modifizierten Sonnenbrille als Augen. Sie zeigen sich als Hinterlassenschaft einer Häutung oder Verpuppung, aus denen die Zeit ein Relikt von singulärer psychologischer Autorität hat werden lassen. So behaupten sie ihren Platz zwischen jenen wenigen Werken der Skulptur des späten 20. Jahrhunderts, in denen Pathos und Poesie zu einer ebenso exquisiten wie schmerzlichen Balance finden.
Im Laufe seiner kurzen Lebenszeit unternahm Leigh Bowery nur wenige Auftritte in Galerien und Museen. Der größte Teil seiner dokumentierten Werke fand an den eher improvisierten Orten der Nachtclubs oder der Strasse statt. Die einflussreiche 5-Tage-Performance in der Anthony d’Offay Gallery (1988) – ein Ereignis, mit dem der Begriff YBA oder Young British Art eingeführt wurde – ist eines davon und The Serpentine Performance die in dem Museum gleichen Namens anlässlich der Ausstellung Success is a job in New York: the early art and business of Andy Warhol (03.09.89 – 01.10.89), ist eine weiterere.
Dick Jewell, ein moderner Samuel Pepys mit Videokamera, der in dem Moment begann das Londoner Club-Leben zu dokumentieren, als das Video den Radio Star ermordete, nahm als offiziell zugelassener Zeuge an The Serpentine Performance teil. Seine außergewöhnliche Videoarbeit behauptet sich als eine der prägenden Einblicke in das Leben und den Lebensstil der 1980er Jahre. Gefilmt aus nächster Nähe, ist das Video von Dick Jewell ein Kunstwerk in Komplizenschaft. Sein Video und die Hinterlassenschaften des Ereignisses, dass es festhält, bevölkern nun erstmalig einen gemeinsamen Raum. 11m2 ist stolz, The Serpentine Performance 1989, zu präsentieren und Ihrer kritischen Betrachtung zu überlassen. The Serpentine Performance, 1989, ist ein Künstler-initiiertes Projekt von Gary Carsley.
Gary Carsley war der Kurator von Take A Bowery – The Art and (larger than) Life of Leigh Bowery (The Museum of Contemporary Art, Sydney) und Leigh Bowery – Mirror Mirror , The Adelaide Festival Centre. Er ist Künstler und lehrt als Senior Lecturer an der University of New South Wales Faculty of Art and Design. Gary Carsley lebt und arbeitet in Sydney.
Photos: Geo Reisinger
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The Serpentine Performance
London 1989
Leigh Bowery, Nicola Bateman and Pearl
A film by Dick Jewell
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The Serpentine Performance Sculptural Elements
From The Estate of Leigh Bowery
Leigh Bowery (b. Sunshine, Australia 26.03.1961 d. London, UK 31.12.1994) is one of the recent past’s most innovative and influential artists, yet what we know of his practice has largely been transmitted to us by the artists for whom Leigh was a subject. The Serpentine Performance presents Leigh Bowery as object, and in doing so seeks to examine the relationship between the radicality and ephemerality of his practice and the material and conceptual language of late 20th sculpture and performance.
The Serpentine Performance articulates ‘as sculptures’, the garments authored by Leigh Bowery in the context provided by the eponymous video work of his peer and fellow artist, Dick Jewell. Made in part with the assistance of long-time collaborator Nicola Bateman and the master corsetiere, Pearl, the sculptural components of The Serpentine Performance consist of a full length pink satin corseted bodysuit and light green satin head piece with a spherical rhinestone encrusted nose, eyelids of upholstered tennis balls and modified sunglasses for eyes. They constitute a shed skin or chrysalis, that time has made a relic of singular psychological authority and take their place among those very few works of late 20th century sculpture in which pathos and poetry are exquisitely and painfully in balance.
During his short lifetime, Leigh Bowery undertook only a small number of performances in galleries or museums, with the majority of his documented works presented within the more improvisational spaces of the night club or street. The seminal 5-day performance at The Anthony d’Offay Gallery (1988) that event that introduced the term YBA or Young British Art is one and The Serpentine Performance which took place at the gallery of the same name during the exhibition Success is a job in New York: the early art and business of Andy Warhol (03.09.89 – 01.10.89), is another.
Dick Jewell, a modern day Samuel Pepys with a VCR who had begun documenting London club life at the time when video killed the radio star, participated as sanctioned witness to The Serpentine Performance and his extraordinary video work persists as one of the 1980’s defining insights into the times of those lives. Filmed with the proximity of an accessory, Dick Jewell’s video, is an art work after the fact. His video and the residue of the event it records, will for the first time co-inhabit a shared space. 11 M2 is proud to present for your critical reflection: The Serpentine Performance, 1989, an artists initiated project by Gary Carsley.
Gary Carsley was the curator of Take A Bowery – The Art and (larger than) Life of Leigh Bowery (The Museum of Contemporary Art, Sydney) and Leigh Bowery – Mirror Mirror at The Adelaide Festival Centre. He is an artist and academic who lives and works in Sydney where he is a Senior Lecturer at the University of New South Wales Faculty of Art and Design.
Photos: Gary Carsley
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The Serpentine Performance Pubic Programs
02.12.2017, 11m2, Beginn: 19:00 Uhr
The d’Offay Performance
From October 11th – 15th 1988 every afternoon from 4 to 6 pm at London ’s prestigious Anthony d Offay Gallery Leigh Bowery performed behind a double sided mirror. Each day in a different costume he preened himself in the mirror oblivious to the crowds gathered outside, looking on as he looked at himself. This performance initiated the YBA (Young British Art) movement and attracted press attention from around the globe. Celebrated artist Cerith Wyn Evans, a friend of Bowery’s filmed the performances and for one night only Gary Carsley will show an redacted show reel of Leigh performing in each of the 5 costumes followed by an uninterrupted hour of day 2, the longest continuous document of Leigh Bowery performing in existence.
Gary Carsley was the curator of Take A Bowery – The Art and (larger than) Life of Leigh Bowery (The Museum of Contemporary Art, Sydney) the first major retrospective overview of the practice of Leigh Bowery. He subsequently produced Leigh Bowery – Mirror Mirror for The Adelaide Festival Centre in which he began the process of reconciling the practice of Leigh Bowery to the wider history of late 20th century sculpture and performance by presenting the artefact residue – Leighs costumes and drawings along with the relevant video works as “sculptures”. He has worked closely with Nicola Bateman, Leigh’s wife and close collaborator and has written and spoken widely on the practice of Leigh Bowery and his archive of Leigh Bowery material is among the most extensive in existence. He is an artist and academic who lives and works in Sydney where he is a Senior Lecturer at the University of New South Wales Faculty of Art and Design.

Amin El Dib – Jacques
Mehr als ein Blick
„Jacques“, eine Installation von Amin El Dib
Amin El Dib bespielt die 11m2 mit einer fast den gesamten Wand- und Fensterraum erfassenden Installation, die in ihrer Gestaltung auf nur ein einziges Bildmotiv zurückgreift.
In einem quadratischen Format erscheint – in einer Schwarz-Weiß-Photographie – das Gesicht eines älteren Mannes, der lächelnd direkt in die Kamera blickt. Diese scheint ihm bedenklich nahe zu rücken so dass jede Falte, jeder Bartstoppel im Fokus erscheint. Die zwangsläufige Distanzlosigkeit wird durch den Bildausschnitt verstärkt, der kompromisslos Augen und Mundpartie in Szene setzt. Am rechten und linken Bildrand werden zwar Konturen des Kopfes sichtbar, in der kontrastreichen Lichtregie kommt diesen Details jedoch eine rein rahmende Funktion zu, als Licht- und Schattenkontrast. Der Bildausschnitt wirkt wie ein Zoom, eine technisch mögliche Nahaufnahme, die einen Blick auf das Gesicht eröffnet, der sich dem Gebot menschlichen Individualabstandes folgend in der Alltagswahrnehmung als unschickliche Nähe verbieten würde. Diese ungewöhnliche Nähe jedoch schafft im Gegenzug eine erstaunliche Distanz zu dem Abgebildeten als wahrzunehmender Person und rückt den von der Kamera eingefangenen, vom Bildausschnitt hervorgehobenen Gesichtsausdruck in den Vordergrund der Aufmerksamkeit. Im Zusammenspiel von Mund, Augen und Gesichtsmuskulatur ergibt sich ein Ausdruck, der in einem ersten Schritt als ein freundliches, mildes Lächeln deutbar scheint. Bei längerem Hinsehen jedoch wird man im Ausdruck der Augen eines Anfluges von Traurigkeit gewahr, der das Lächeln aus der Freundlichkeit in eine unerwartete Schmerzhaftigkeit entgleiten lässt. Beide, so scheinbar widersprüchlichen Eindrücke vermittelt die Photographie dauerhaft.
Bei diesem Bild mit einer Detaildarstellung eines männlichen Gesichtes scheint es sich um ein Porträt zu handeln. Eine solche Vermutung liegt auch schon deshalb nahe, da der Titel auf einen Eigennamen und damit mutmaßlich auf eine Identifizierbarkeit des Dargestellten weist. Das Bild eines Kopfes oder einer Person ist meist dann mehr als das Bild, das einen Kopf oder Körper bzw. die Gestalt eines Menschen zum Gegenstand hat, wenn „die Individualität des Porträtierten zur Darstellung“i kommt. Es sollten die „Einheit der geistigen Individualität ausgeprägt und der geistige Charakter das Überwiegende und Hervortretende” sein. Dies empfiehlt eine Konzentration auf die Züge und Partien, „in welchen diese geistige Eigentümlichkeit sich in der Klarsten und prägnantesten Lebendigkeit ausspricht.“ii Dies scheint für die der Installation zugrunde liegende Photographie erst einmal uneingeschränkt zu gelten. Der Umgang mit diesem Bild jedoch zieht solche vermeintliche Eindeutigkeit wieder in Zweifel.
Stattdessen lässt sich vielmehr die weitaus spannendere Frage stellen, ob der Abgebildete auch tatsächlich als der Dargestellte im Vordergrund steht, oder ob er nicht allein als Bildanlass erscheint, während als der eigentliche Bildgegenstand die Ambiguität seines mimischen Ausdrucks in den Fokus rückt.
Amin El Dib zeigt „Jacques“ als ein auf transparenter Folie gedrucktes „Dia“ im Fenster und als ein in serieller Wiederholung zum Muster umfunktioniertes Grundmotiv einer Phototapete an drei der vier Wände des Ausstellungsraumes.
Das Hochformat des Fensters wird von einem weißen Rahmen geschlossen, der das Quadrat des transparenten Bildes umschließt. das sich wandelnde Licht und damit auch sichtbare Elemente des Außenraumes verändern das Erscheinungsbild der Photographie beständig. in seiner in Teilen gegebenen Transparenz wird es zum „offenen Kunstwerk“, dass, indem es Licht und Raum in sich aufnimmt, selbst als Standbild eine gewisse filmische Qualität erlangt.
Als Tapete mit einem allein auf einer Photographie beruhenden Motiv bildet sich eine Musterstruktur, über die sich in steter Wiederholung aneinanderreihenden quadratischen Bildformen. Dazu kommen die, das Gesicht rahmenden Licht- und Schattenflächen, sowie die, sich in einer Art abstrakten Konstellation auflösenden Stellung von Augen und Mundpartie. In der Unzahl der Wiederholungen wird damit schließlich ein ornamental strukturiertes Kachelmuster sichtbar, innerhalb dessen, der porträthafte Charakter der Gesichtsdarstellung, zunächst einmal zurücktritt.
Kunsthistorisch haben Porträts oder porträthafte Abbildungen in innerbildlichen Wiederholungen und in Serien im Werk von Andy Warhol ein wichtiges Vorbild. In dessen Werk jedoch hat neben den Bildmotiven die bildnerische Sprache des Künstlers, über die Eigendynamik von Schraffuren etwa und die Eigenständigkeit von Farbflächen, eine große Präsenz. El Dibs photographische Tapete hingegen bleibt, abgesehen vom Moment der Wiederholung, gänzlich bei der Gestaltung der ursprünglichen Photographie. Das wiederum hat Konsequenzen in der Wahrnehmung des Motivs als Muster. Dieses lässt sich zwar mit wenigen Blicken erfassen und doch tritt damit in der Anschauung keinerlei Beruhigung ein. Die Präsenz des photographischen Gesichtsbildes forciert eine genauere Betrachtung des verstandesmäßig als Muster längst Durchschauten. Das Auge forscht zunächst einmal einigermaßen rastlos auf der Suche nach möglichen Veränderungen, nach etwaigen minutiösen Variationen des Ausdrucks. Es folgt damit einer naheliegenden Erwartung oder Hoffnung auf ein quasi filmisches Ereignis, das in langen Einstellungen eine Unzahl von Bildern nicht in Bewegung, sondern in additiver Dauerpräsenz zeigen könnte. Und doch bleibt jegliche Hoffnung auf Veränderung und Variation enttäuscht. Zu sehen ist immer nur das immer gleiche Bild.
Damit sieht sich der Betrachter einem direkten bildlichen Blick ausgesetzt, der sich in unüberschaubarer Unzahl wiederholt. Ursprünglich, so lässt sich dies rational erschließen, ist es ein Blick, gerichtet auf die Linse einer Kamera, in einer nicht näher bestimmten zurückliegenden Zeit, an einem nicht näher bestimmten anderen Ort. Es handelt sich um ein auf Papier ausgedrucktes, Bild gewordenes vergangenes Ereignis. Und dennoch kann der Betrachter nicht umhin, diesen Blick als einen, im Moment seiner Betrachtung, auf sich als Person gerichteten wahrzunehmen. Jean-Paul Satre hat auf eindrückliche Weise die Scham beschrieben, die dem „Vom-Anderen-gesehen-werden“ folgt, unmittelbar bevor das eigene Universum im Abflussloch mitten im Sein des Anderen verrint.iii
In der eigenen Wahrnehmung bleibt sich ein jeder so das Zentrum des Geschehens und in dieser Installation sind es die vielen Augen, die auf dieses eine Zentrum ausgerichtet sind.. Das eigenwillige dieser Erfahrung bleibt, dass noch die Augen längs der Wand, aus der Tiefe des Raumes ihre gleichzeitige Gerichtetheit demonstrieren. Es stellt sich ein Gefühl der Unbeherrschbarkeit und Desorientierung ein und so schafft diese Tapete in Bezug auf die Wahrnehmung des Blicks eine nachhaltige Überforderung.
Über das Erlebnis existentialistischer Blickerfahrungsdramen hinaus eröffnet die Installation zudem eine Perspektive auf ein weiteres, interessantes photographisches Phänomen. In der schier endlosen Wiederholung wird das ursprünglich Singuläre des photographischen Porträts aufgehoben und in eine unendlich fortsetztbare Musterstruktur überführt. Eigentlich bedeutet dies eine Abwertung des Bildes zum Muster. In der Wahrnehmung des Raumes jedoch ist zu beobachten, wie sich ausgerechnet in dieser Struktur eine Steigerung der Ausdrucksstärke des eigentlichen Bildgegenstandes erreichen lässt. Denn, nimmt man Abstand und konzentriert sich auf die Addition der je einzelnen Gesichtsabbildung und folgt ihnen mit der Distanznahme des Betrachters, nicht der des Betrachteten, dann erlebt man eine maßlose Steigerung der Ambiguität im Ausdrucks des Dargestellten.
Amin El Dib gestaltet mit seiner Installation „Jacques“ in den 11m2, mit einfachen Mitteln, einen Raum als physisch erlebbare Herausforderung an die Wahrnehmung eines einzigen photographischen Bildes.
Rafael von Uslar
i Hans Georg Gadamer: Die Okkasionalität des Porträts. In: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 1990, S. 149ff.
ii Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. In: Band 3, Werke 15, Frankfurt am Main 1990, S. 102.
iii Jean-Paul Satre: Der Blick, in: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Onthologie, Hrsg. von Traugott König, Hamburg, 2009, S. 457ff.