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Moira Bushkimani – I am Fauna I am Flora
Die Ausstellung ist ein Projekt unseres Kooperationspartners Sana Sanaa: ein interkulturelles Austauschprogramm für KünstlerInnen zwischen Nairobi und Berlin. https://sanasanaa.com
KünstlerInnen aus Nairobi, die ihre Künstlerresidenz in Berlin wahrnehmen, erhalten zum Abschluss ihres Aufenthaltes die Gelegenheit in den 11m2 auszustellen. Diese Ausstellungsreihe eröffnet Moira Bushkimani mit: I am Fauna I am Flora, eine Installation basierend auf zwei Photoserien.
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Moira Bushkimani: I am Fauna I am Flora
Moira Bushkimani zeigt mit I am Fauna I am Flora, eine Installation basierend auf zwei Photoserien. Die titelgebende Fauna und Flora werden von zwei Frauen repräsentiert. Beide tragen denselben langen Rock aus einem blass-gelbem Stoff bei nacktem Oberkörper und Kopf- Gesichtsschmuck.
Die allegorische Inszenierung der Frauen in den Photographien greift auf eine Vielzahl kunsthistorischer und kultureller Referenzen zurück. Fauna zeigt sich als eine schwarze Frau deren bemaltes Gesicht in Teilen von einer Maske bedeckt wird. Vom Hals bis auf die Brüste und im Nacken auf dem Rücken erstreckt sich eine Malerei, die ein partielles Federkleid darstellt. Auf ihren Fingerkuppen trägt sie aus Kupferdraht geformten Handschmuck. Im Folgenden werden zur Einführung einige der möglichen Referenzen ausgewählter Bildelemente kurz skizziert um so eine Reihe von möglichen erzählerischen Anknüpfungspunkten sichtbar zu machen.
Federschmuck
Die in weißer Farbe auf dunkler Haut angelegte Federmalerei erinnert formal an die mehrlagigen Spitzenkragen wohlhabender weißer Damen in den holländischen Porträts des „Goldenen Zeitalters“. Diese aufwändig gestalteten, in hellem weiß erstrahlenden Spitzenarbeiten signalisierten Reichtum und boten den Gesichtern der Dargestellten im Bild eine theatralische Rahmung. Sie hoben zugleich in besonderem Maße den blassen Teint der Damen hervor. Es ging um Pomp und Weisheit! Die Federmalerei stilisiert Fauna zu einer exotischen Erscheinung. Die Verbindung von Exotik und schwarzer Haut kann so auf eine Tradition innerhalb der westlichen Welt verweisen in der zur Selbst-Bereicherung das Exotische angeeignet und exponiert wurde und wird. Die diskrete Verbindung von bürgerlichem Pomp und Spezies-übergreifender Exotik ist darüber hinaus ein kluger Verweis auf die Menschen, die mit ihrer Freiheit und ihrem Leben längst nicht nur für das Gold des Goldenen Zeitalters bezahlt haben.
Maske
Die Maske der Fauna setzt sich zusammen aus einem dem Gesicht aufgesetztem Objekt und einer, dieses Objekt ergänzenden Bemalung der Haut. Grundlage des Gesichtsaufsatzes bildet ein beschichtetes Metallstück mit Ösen, in dem zwei große, runde Öffnungen, die wie eine überdimensionale Brille die Augen weiträumig rahmen. Es handelt sich um den Teil einer Dichtung eines Motors, der oberhalb der Augenpartie mit einigen Federn und einer Kupferapplikation geschmückt wurde. Solch applizierter Zierrat steht zur Motorendichtung im starken Kontrast und vermag doch das Gebilde in seiner Gesamtheit wie eine Art Fascinator fürs Gesicht erscheinen lassen.
Die Gesichtsbemalung ergänzt den Gesichtsaufsatz. Sie beschreibt eine klare Form, deren Konturen sich von der sie rahmenden dunklen Haut absetzten. Die kreisrunden Öffnungen geben den Blick frei auf eine Malerei in weißer Farbe, welche die Augen als Ellipsen freistellt. Das weiß reicht über das Objekt hinaus und wird mit schwarzer Farbe komplettiert. Auf dieser erscheint eine weiße Linie, die von der Nasenspitze über den Mund zu Kinn verläuft und an den Wölbungen dieser Körperteile ihre Brechungen erfährt. Diese Maske schließlich verleiht dem Gesicht der Fauna, eine, an das Erscheinungsbild einer Eule erinnernde Gestalt. Dieser Eindruck wird von dem Federkragen eindrücklich unterstützt.
Die Gummi-beschichtete Metalldichtung jedoch erinnert mit ihren großen kreisrunden Auslassungen um die Augen an den ebenfalls kreisrunden Glasschutz von Pesthauben und Gasmasken. Diese Referenz an natürlichen und industriellen Tod innerhalb der Konstituierung des Bildes einer Spezies verändernden Naturerscheinung sind der eine kulturell interessante Kommentar dieser Maske, das Blackface im schwarzen Gesicht ist der andere.
Whiteface
An dieser Stelle sollte auch kurz die Rede von Flora dem Gegenüber von Fauna sein. Die Frau, die in Moira Bushkimanis Serie die Flora verkörpert ist kaukasischer Herkunft. Oberkörper Gesicht und Haare sind vollständig geweißt. Anders als Fauna tritt sie nicht als Verkörperung von Flora auf, sondern als die Gestalt einer Flora, der das Floristische in Form natürlicher Attribute beigegeben wurde.
Das Weißen der Körper von Weißen hat verschiedene Traditionen begründet. Es gewann an sinnstiftender Präsenz vor allem in den Tableaux vivants bürgerlicher Salons, in denen Herren und Damen der Gesellschaft neben Szenen berühmter Gemälde auch bekannte Skulpturen und Skulpturengruppen nachstellten. Um den Körpern zu erlauben das Erscheinungsbild von Marmor zu vermitteln, wurde zu weißer Farbe gegriffen, zu Kreide oder gar zu fein gemahlenem Marmorstaub. Bekanntlich leitet sich das Posieren in der Photographie ganz wesentlich von dieser erbaulichen gesellschaftlichen Aktivität ab. Da Weißsein vor allem eine soziale Determinante darstellt wird da, wo Blässe als vornehm gilt, gern zu Puder und Make up gegriffen oder gar zum chirurgischen Eingriff.
Hautfarben
Die Erfindung einer Farbenlehre von Hautfarben als sozialer Konstruktion ist bekanntlich eine historische Leistung der Aufklärung. Sie ist in jeder Hinsicht problematisch, vor allem aber empirisch in keiner Weise verifizierbar. Erst, wenn tatsächlich Farbe ins Spiel kommt, werden Realitäten geschaffen. Das zeigen sowohl das Blackface als Möglichkeit sogenannter Weißer um Erscheinung und stereotypisiertes Verhalten von Menschen dunklerer Hautfarbe nachzuahmen. Dieser Nachahmungsakt ist fast immer zum Nachteil der Nachgeahmten intendiert. Dazu gehört im Gegenzug das Aufhellen dunkler Haut, zwar auch ein Nachahmungsakt, der sich allerdings den Nachgeahmten gegenüber meist ausdrücklich positiv und affirmativ verhält.
Und während Whiteface für eine Weiße, wie eben ausgeführt, gar nicht so ungewöhnlich ist, hat Blackface für eine Schwarze eine ganz andere Qualität, was der direkte Blick von Fauna in die Kamera zusätzlich unterstreicht.
An animal and a plant
Mit I am Flora I am Fauna tritt Moira Bushkimani dem Dialog zweier indigener Australischer Künstler bei und erweitert damit einmal mehr den kunsthistorischen und kulturellen Horizont ihres Projektes. Ein Dialog, der erst kürzlich im Zentrum der Installation Schutznmantelmadonnamimi von Troy Anthony Baylis stand. Baylis reagierte mit einem Dilly – Objekt, mit Text auf eine Wandinstallation von Vernon Ah Kee mit dem Text: „Not An Animal Or a Plant“. Er bezog sich damit auf ein Referendum aus dem Jahr 1967, in dem die Bevölkerung von Australien dafür stimmte, dass Aborigines den Menschen zuzurechnen seien und nicht, wie zuvor, der Flora und Fauna. Baylis Dilly zeigt den Text: „am an animal and a plant“. Er besetzt so die freigewordene Leerstelle mit einem alternativen Identifikationsentwurf. Moira Bushkimani nimmt zwar diesen Aspekt der freiwilligen Identifikation mit Flora und Fauna auf, verteilt sie jedoch auf die zwei Rollen Flora und Fauna die sie von zwei verschiedenen Frauen personifizieren lässt. In ihrer Bildersprache knüpft sie dabei an europäische Traditionen an.
Im Aufeinandertreffen der beiden als Allegorien tätigen Damen wird dabei jenseits aller angedeuteter kulturellen und historischen Bezüge und Themen auch deutlich, dass jeder Mensch für sich sowohl Flora wie auch Fauna annehmen könnte und der Akt einer Ver-Körperung legt schließlich auch den schönen Gedanken nahe, dass es möglich sei, das Darzustellende womöglich im eigenen Körper zu entdecken und damit in gewisser Weise wiederzufinden.
Rafael von Uslar
Installation Photos: Michael Maria Müller and by the artist

Garagenakademie mit Hans Georg Berger

Amin El Dib gestaltet mit seiner Installation Jacques in den 11m2, mit einfachen Mitteln, einen Raum als physisch erlebbare Herausforderung an die Wahrnehmung eines einzigen photographischen Bildes. In scheinbar zahlloser Wiederholung wird der Ausschnitt eines Gesichts zum Gegenüber, in dem einem Lächeln des Mundes der traurige Ausdruck der Augen wiedersprechen. Der Bildheld richtet seinen Blick direkt auf die Linse einer Kamera, die ihm wiederum viel zu nahe kommt. Im Photo wird dieser Blick an den Betrachter weitergereicht. Nun gilt es, beidem zu begegnen, der Nähe der Kamera und der Unmittelbarkeit des Blicks – und all das im Angesicht eines unausweichlichen „all over“.
Hans Georg Berger hat die Kultur des Dialogs auf beeindruckende Art und Weise zur Grundlage seiner Arbeit gemacht. In seiner Zusammenarbeit mit dem französischen Schriftsteller und Photographen Hervé Guibert entstand nicht nur ein von großer Intimität geprägtes Dokument einer Freundschaft, sondern auch ein photographisches Projekt das auf der Grundlage einer zwischenmenschlichen Beziehung das Prinzip von Autorenschaft hinterfragt.
Eines der größten Themen seiner Arbeit ist die Erkundung der Weltreligionen und ihrer Lehrsysteme. „ Mit Sensibilität und im stetigen Dialog mit den Dargestellten näherte er sich den Gebräuchen des Theravada Buddhismus in den Klöstern von Luang Prabang oder dem schiitischen Islam in Iran, ließ sich dabei respektvoll auf Darstellungskonventionen ein, begleitete Traditionen und Rituale mit großer Ernsthaftigkeit und erfasste sie mit der Kamera.“[1]

Pop-Up Kantstrasse
Für einzelen Projekte verlassen die 11m2 ihre großzügigen Räume in der Mommsenstrasse und öffnen anderenorts ihre Türen. For specific projects 11m2 leave their vast premises at Mommsenstrasse to open their doors elsewhere.

Pünktlich zum Gallery Weekend stellten sich die 11m2 auf 111m2 mit einem „Sampler“ Pop Up Projektraum vor. Am Freitag, dem 28.04.2017, eröffneten wir ab 16:30 bis ca. 21:00 Uhr, in der Kantstrasse 147, am Savignyplatz, sehr zentral gelegen zwischen Uhland Apotheke und Schwarzem Cafè!
Während des gesamten Wochenendes präsentierten wir unseren Projektraum in einer Art Porträt, das zum einen auf vergangene Projekte verweist, deren Arbeiten nun zum ersten mal in einem Raum zeitgleich und nebeneinander zu sehen waren. Zum anderen gewährten wir einen Ausblick auf kommende Veranstaltungen und stellten einige der Künstler vor, die wir in diesem und im kommenden Jahr zeigen möchten.
Und das bot der „Sampler“:
Von Troy-Anthony Baylis, einem indigenen australischem Künstler, der strickt, stellen wir frühe Arbeiten vor, die er als „First Queer and The Early Sunsets“ bei MyBerlinWall ausgestellt hatte.
Leigh Bowery, der legendäre australische Performance Künstler wird mit einem Projekt von museologischem Rang in den 11m2 zu sehen sein. Der „Sampler“ gewährt einen Einblick in eines seiner Skizzenbücher in digitaler Form. Die meisten dieser Zeichnungen sind dabei überhaupt noch nie und nirgends gezeigt worden!
Der deutsche Photograph, Kurator und Autor, Boris von Brauchitsch, wird mit einem konzeptionellen, auf Phtotographie und Texten basierenden Rauminstallation, die nächste Ausstellung bei uns bestreiten. Zur Einstimmung zeigen wir einige ältere Photographien des Künstlers.
Tony Clark, einer der einflussreichsten australischen Maler seiner Generation, documenta Teilnehmer, stellt für den „Sampler“, eine künstlerische Visitenkarte in Form eines, eigens für dieses Ereignis geschaffenen Selbstporträts vor. In einem wuchtigen Rahmen des 19. Jhd. tritt er somit als Poster Boy unserer Veranstaltung auf! Zeitgleich bespielt Tony das Fenster der 11m2 mit einer weiteren Malerei: „The Birds“.
Gary Carsley ist zur Zeit mit seiner Installation für „The National 2017“ im MCA, Sydney, erfolgreich. Als Ankündigung seiner Projekte in der Mommsenstraße zeigt er eine großformatige Photographie eines seiner „versteinerten“ Stühle. Dieses, mit einem kulturanthropologischen Narrativ infizierten Möbel des 19. Jhd., stammt ursprünglich aus der Sammlung des Kunstgewerbemuseums Berlin.
Friedrich Gräsel, einer der originellsten Bildhauer der westdeutschen Nachkriegsmoderne, ist mit einem Hauptwerk im öffentlichen Berliner Raum vertreten. Dieses jedoch vergammelt seit Jahrzehnten bis zur eigenen Unkenntlichkeit. Wir werden eine umfangreiche Auswahl seiner Graphiken zeigen in einen Kontext gerückt mit Werken internationaler Künstler, die sich Gräsel zum Thema nehmen. Unser wichtiges Ziel: „Gräsel-awareness!“
Edith Kollath schafft Installationen und Skulpturen, von großer poetischer Wirkungsmacht. Unser Partner-Projektraum „Marterie“ in Offenbach, zeigt zur Zeit ihre Ausstellung „Addressable Volume“. Im „Sampler“ gewährt Edith einen Einblick darein, was einen Stein in seinem Innersten zusammenhält.
Anny & Sibel Öztürk zeigen „Hans Arp“ aus ihrem grandiosen Sammlerkabinett für die 11m2 und eine Monstera Deliciosa als Verweis auf ihr nachhaltig beeindruckendes „unspeakable home“ für MyBerlinWall. Ein Jahr lang fand hier die einzigartige Überblendung von Adolf Hitlers Berghof mit dem großmütterlichen Wohnzimmer der Künstlerinnen in Istanbul statt. Wir bieten eine werkmonographische Publikation zu dieser Arbeit an.
Lars Reimers und Mickaël Marchand gewähren einmal mehr Einblick in ihre Archive mit hunderten Photos ungewöhnlicher Installationen aus verlorenem Strandgut im öffentlichen Raum.
Geo Reisingers großformatiges New York Panorama ist ein zweites mal in Berlin zu sehen. Anders, als in den 11m2 zeigt es sich in der Kantstrasse ein wenig offener. Einmal mehr bildet sich ein höchst ungewöhnlicher Ort in New York, an dem unbedingter ornamentaler Wille die Örtlichkeit bestimmt.
Dirk Schlichting schafft aufwändige Werke im Stil der sogenannten „Realkunst“. Handwerklich erstaunlich aufwändig, verblüffen seine Arbeiten mit ihrem Hintersinn und einem sehr feinen Ironiebewußtsein. Dirk stellt sich für die 11m2 auf 111m2 passenderweise mit einer höchst kleinformatigen Installation vor.
Klaus Staeck hat die politische Kunst der alten und der neuen Bundesrepublik geprägt, wie kein Anderer. Parallel zu dem bekannten, sehr umfangreichen Werkkomplex politischer Plakate, besteht ein wunderbares Universum von Collagen im Postkartenformat. In den 11m2 planen wir, den bislang umfassendsten Überblick, dieser bislang weniger bekannten Werkgruppe zu zeigen. Im Kontrast zu der schieren Unmenge von unikatär Papiergeschnittenem im Taschenformat, auf die wir in den 11m2 hoffen, zeigen wir nun zur Einstimmung zunächst einige wenige Motive.
Der 11m2 Pop Up Sampler ist ebenso eine erste Bestandsaufnahme, wie auch ein Ausblick und schließlich die einmalige Gelegenheit, die vielen, aufeinander folgenden künstlerischen Einzelpositionen, einmal im räumlichen Zusammenspiel zu erleben.
Wir haben uns auf viele spannende Begegnungen an diesem Wochenende gefreut und hoffen sehr, die Freunde der 11m2 nach Kräften zu mehren. Deshalb auch unsere Bitte, die Einladungen zu unseren Vernissagen weiterzureichen und Menschen, zu deren Berufung im Leben es eigentlich auch gehören sollte, Freunde kurioser Projekträume zu sein, bitte einfach mitzubringen!
Ausstellungsdauer: 28. – 30. April

Boris von Brauchitsch – 9
Die Welt im Maßstab von 9 auf 11m2
Boris von Brauchitsch 9 bei 11m2 Berlin
Um auf die gewaltige Flut privater Photos der immer gleichen Sehenswürdigkeiten zu reagieren, setzte mein Vater, der Knipser, sich die Regel, nichts zu photographieren, was er als Postkartenmotiv professionell abgelichtet erwerben könnte. Und so reihen sich an die Festmeter von Alben, gefüllt mit Bildern der immer gleichen Personen, die in den immer gleichen Situationen jedoch zu verschiedenen Zeiten abgelichtet wurden, zwei Bände mit Ansichtskarten.
Um auf die gewaltige Flut privater Photos der immer gleichen Sehenswürdigkeiten zu reagieren, setzte sich Boris von Brauchitsch, der Photograph, das Regelwerk eines künstlerischen Konzeptes: An sämtlichen Orten, Städten und Landschaften seiner Reisen, wollte er fortan darauf verzichten, die bereits im Vorhinein sattsam bekannten Motive abzulichten. Stattdessen würde er sich auf die je eine Beobachtung einer Besonderheit am Ort konzentrieren und dieser die strikt beschränkte Anzahl von 9 Photos widmen. Den Bildern – als Quadrate formatiert und zu Blöcken angeordnet – wird ein essayistischer Text zur Seite gestellt.
In locker plauderhaftem Ton werden hier, angereichert mit allerlei Anekdotischem zur Reise und etwaigen Begleitern, die Motive aufgeschlüsselt, ihre Entdeckung dokumentiert und meist mit einem pointierten, kulturelle Analyse behauptenden Kommentar bedacht. Photoblock und Text zusammen ergeben so schließlich ein in sich abgeschlossenes Narrativ.
Boris von Brauchitsch stellt mit seinem Projekt die Frage, wer oder was wen legitimiert, etwas mit der Würde des Sehenswerten auszuzeichnen. Einer kollektiven Einigung auf einen möglichen historischen und kulturellen Konsens stellt er eine radikal subjektive Perspektive gegenüber. In 9 bestimmt von Brauchitsch im Alleingang, welchem Motiv repräsentativer Charakter für einen bestimmten Ort zukommt. Dabei wird das Detail, und die sie begleitende erzählerisch aufbereitete Beobachtung sowohl zu einer Darstellung des Orts als auch zu einem Abbild desjenigen, der seinen eigenen Blick hier dokumentiert. 9 das ist ein Reiseporträt ebenso sehr wie ein Selbstporträt.
Ihr reduziertes Format, der serielle Aufbau und ihre Anordnung in Blöcken nimmt die einzelnen Photographien mit ihren individuellen Erzählungen zurück zugunsten der sich in der Serie illustrierenden konzeptionellen Idee. Hier erinnert der Umgang mit den Motiven an den Einsatz von Photographie in der konzeptionellen Kunst, der Spurensicherung und Bereichen der individuellen Mythologien. Zugleich bewirkt die Anlage zum Kachelfeld eine Betonung ornamentaler Qualitäten. In ihren besten manchen Fällen sind die 9 Aufnahmen einfach Typologien spezifischer Objekte, in anderen Reihungen, die als chronologische Folge gelesen werden können, in wieder anderen fügen sich die 9 Einzelbilder als konstitutive Musterstrukturen zu dem einen wohlgestalteten Gesamtornament.
Ein ausgesprochen gut entwickeltes Ironiebewusstsein und der an umfänglichem Bildwissen geschulte Blick des Kunsthistorikers sind bei von Brauchitsch das Rüstzeug für Photographien, die zunächst wie lapidare Schnappschüsse erscheinen, um schließlich die Betrachteraufmerksamkeit mit komplex gestalteten Bilderzählungen zu bannen.
9 zeigt die untergegangene Schönheit Berliner Brandmauern, die inspirierende graphische Ordnung marokkanischer Wahlwerbung, die traumbildhafte Poesie apulischer Scheintüren, den Maßstäbe setzenden griechischen Beitrag zur konkreten Plastik (eat that documenta!), die Internationalität der Playa del Inglés als durchdachtes Entsorgungskonzept, ebenso wie die tiefe Traurigkeit spanischer Baumschändungen. Kurzum, hier gilt es die ganz großen Erzählungen in sorgsam abgezählten, kleinformatigen Bildern nachzuverfolgen.
Zu den amüsantesten Geschichten gehört zweifelsohne der Photoblock zur Stadt London. Es geht um die längst überfällige Feststellung, das Reiterdenkmäler dafür zu tadeln sind, dass sie Pferde von hinten zeigen. Und da dies in der Tat kein erbaulicher Anblick ist, existieren auch nur 5 statt 9 photographische Belege solchen Missstandes.
Dabei werden hier einmal mehr die engen kulturellen Verbindungen der abtrünnigen Briten mit dem so wenig geliebten Kontinent deutlich: 1979 präsentierte Daniel Spoerri in seinem Le Musée sentimentale de Cologne an zentraler Stelle einen riesigen in Bronze gefassten Pferdehintern und daneben den Kopf von Wilhelm III. Dies ist, was vom kriegszerstörten Reiterstandbild des Preußenherrschers letztlich in der Stadt verblieb und nicht in „Eifel und Westerwald eingeschmolzen“, als „Eier, Käse und Butter nach Köln“ zurückkehrte.*
Königskopf an Pferdepobacken – auch das ist schließlich eine auserzählte preußische Geschichte und ein zukunftsträchtiger Tipp für London.
Aber es sind schließlich auch die vielen Einzelbilder, denen nachzuspüren lohnt: Wie etwa das einer geschlossen sich präsentierenden Mauer in Barcelona, der von einem Vespaspiegel ein ebenfalls geschlossenes Dreibogenfenster einem Orden gleich verliehen wird. Zurück bleibt eine streng graphische Zeichnung vor malerischem Hintergrund mit traumhaftem Sujet.
9 das ist eine Reise für sich. Es ist eine konstruktive Anregung, den Blick zu rejustieren und ernster zu nehmen, was da so alles auch ins eigene Auge fällt. 9 das ist ein Buch und das ist eine Ausstellung. In Berlin wird daraus eine Installation, in der ein Raum als ein nach außen gestülpter Globus auftritt, auf dessen Längengraden sich die Erzählungen verorten. 9 das ist nichts weniger als die Welt im Maßstab von 9 auf 11m2.
Rafael von Uslar
* Daniel Spoerri: Le Musée sentimental de Cologne, hrsg. Marie-Louise Plessen, Daniel Spoerri, Wulf Herzogenrath, Köln, 1979, S.149

Geo Reisinger Halbe Häuser, Ganze Paläste
Geo Reisinger
Halbe Häuser, Ganze Paläste
26.06.2015 – 10.07.2015
Eröffnung: 26.06.2015 um 19.00 Uhr
Fotos: Geo Reisinger
Geo Reisinger ist ein Architekt, ein Architekturtheoretiker und ein Photograph. Ein Architekt, der eine Kamera zur Hand nimmt, macht das, was man von ihm erwarten kann: Er baut um, im Bild.
Architekturen und Landschaften sind seine bevorzugten Motive. Er ist ein Photograph des strukturierenden Blicks. Den Sucher seiner Kamera auf ornamentale Ordnungen gerichtet, versteht er es, diese in seinen Bildern zu komplexen Musterstrukturen auszuarbeiten. Sind die gesuchten Strukturen erst einmal aufgespürt, werden sie sorgfältig analysiert und auf ihre Bildtauglichkeit hin seziert. Wie man beim Filetieren eines Fisches vorzugehen hat, legt Reisinger die Spiegelachsentauglichkeit seiner Motive frei. Angelegt als Mittelachse des Bildes, manchmal auch als dessen Rand, verdoppelt sie Hälften, in die Ganzheit eigenwilliger Bilderzählungen.
Als zentraler Fokus wird eine Position eröffnet, die bei Caspar David Friedrich der Rückenansichtigen Betrachterfigur vorbehalten war. Jener Figur, die als Handlungsanweisung dem Bildbetrachter als Identifikationsangebot, des als vorbildlich zu betrachtenden bildgerechten Handelns gelten sollte. Auch bei Reisinger sieht sich der Betrachter in Stellung gebracht und auch hier direkt in den Mittelpunkt des Geschehens. In diesem Fall ist der Bildmittelpunkt zugleich der Ausgangspunkt des Bildgeschehens. Hier teilt sich das Bild in gleich und gleich, es findet in sich selbst sein Gegenüber und doch entsteht etwas Neues, das weit über die Wiederholung des Halben hinausgeht. Neue Architekturen, Räume und Landschaften erwachsen diesem Prozess. Und so durchschaubar bleibt, worin der Kunstgriff besteht, das zu Sehende hat seine ganz eigene, völlig überzeugende Evidenz.
Im Fenster von 11m2 hat Geo Reisinger eine Reihe von Bildern gezeigt, die als Architektur- oder Landschaftsmotive eine solche axiale Spiegelung zum Ausgangspunkt des Bildgeschehens nehmen. Das Resultat ist verblüffend. Der kapitalistisch regulierte freie Wildwuchs urbaner Architektur in New York „vervollkommnet sich“ zu Palastarchitekturen, die stalinistische Machtrepräsentation in den Schatten zu stellen verstehen. Reisinger betitelt dieses Projekt spöttisch mit: „Give the people what they want.“ Hier wird das Photo zur Vervollkommnungsphantasie eines unterstellten kollektiven Wollens, das scheinbar perfekte Ordnungen entstehen lässt. In ihrer Wiederholung finden noch die einfachsten und belanglosesten architektonischen Entwürfe ihre Bestätigung in sich selbst und steigern sich in unerwartete ornamentale Erhabenheit. Und was auch immer zur Anschauung gebracht wurde, ob kolossale Architektur, oder monumentales Felsmassiv; es herrscht eine große Übersichtlichkeit. Das Bild, das ihn ins Zentrum gerückt hat, erscheint dem Betrachter als vollkommen beherrschbar.
Im Projektraum zeigt Reisinger ein Panorama. In die großzügig bemessenen 11m2 stellt er damit seinen eigenen, in sich geschlossenen Raum. Zu sehen sind Bilder von New York, einer Stadt, die in ihrer Ansichtigkeit und Darstellung traditionell für einen Ort der Vertikale gehalten wird. Kameras und Blicke richten sich hier zumeist erst einmal in die Höhe. Jeder, der die Stadt kennt, weiß jedoch, dass sich das Entscheidende in der Horizontalen abspielt, auf Straßenniveau in Blickhöhe, oder im Untergrund. Alles andere ist Ausblick.
Reisinger hält dagegen und senkt die Kamera. Mit dem geschulten Auge eines architekturkulturellen Feldforschers nimmt er die großartige ornamentale Zeichensprache der Asphaltgraphik ins Visier. Was er zeigt, ist Malerei, strenge Geometrie, die große, weithin übersehene Bilderzählung des öffentlichen Raumes. Es ist das Zeichensystem einer urbanen Ordnung, die Reisinger zu einer Komplexität zu fügen versteht, in der jene Notwendigkeit der Arabeske erkennbar wird, die Asphaltmarkierungen in eine lose Beziehung setzt zu den großen ornamentalen Bodenordnungen der Architekturgeschichte.
So bleibt festzustellen, dass nach Geo Reisingers photographischer Untersuchung zum Ornament der Straße niemand Fahrbahnmarkierungen je wieder nur achtlos mit Füssen treten sollte.
Rafael von Uslar