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Elisabeth Leyde – Weisssehen
Weisssehen: Alles unbunt, nur kein Weiß

Photos by Boris von Brauchitsch
Die 11m2 zeigen eine ungewöhnliche Installation der Berliner Künstlerin Elisabeth Leyde:
Weisssehen. Unter der Decke des Raumes schwebt ein Band von Papierarbeiten, denen die Stuckeinfassung als ornamentaler Rahmen dient. Die Ausstellung erschließt sich mit einem streng in den Nacken gelegten Kopf oder auf dem Boden liegend die Decke fest im Blick.
Elisabeth Leyde zeigt Silberstiftzeichnungen mit Teilrelief. Es sind bildhauerische Arbeiten am Papier, die mit den Mitteln der Zeichnung auf der Papieroberfläche ihre Fortsetzung finden. Die Reliefstrukturen bestimmen zunächst Aufbau und Gestaltung des Bildraumes.
Da, wo die Papieroberfläche allein die Spuren der Bearbeitung zeigt, Aufrauhungen, leichten Abrieb, entstehen die differenziertesten Strukturen der Zeichnungen. In einem freien Wechselspiel zwischen organischen Anmutungen und geologischen Beschaffenheiten, können sie ebenso an die Oberflächen von Haut und Häuten erinnern, wie an Abdrücke und Erhebungen in feinkörnigem Sand.
Die mit einem Silberstift ausgeführten Zeichnungen stellen eine Interpretation der im Papierrelief gefundenen Formen dar. Sie füllen Flächen, besetzten Zwischenräume und fügen so das Relief in eine von der Zeichnung bestimmte Bildfigur ein. Was dieser Eingriff bedeutet, zeigt sich am besten an den Stellen des Reliefs, den die Zeichnung auszulassen in der Lage ist.
Die Binnenzeichnungen sind als engmaschige Musterstrukturen angelegt. Als kleinteilig organisierte Schraffuren fügen sie sich zu je eigenen Einheiten zusammen in denen sowohl die Dichte, als auch die jeweilige Ausdehnungen des Strichverlaufs variieren können. In größeren Flächenzusammenhängen arbeiten sie mit Auslassungen, die unbearbeitetes Papier zur Form werden lassen. In deren Gestaltung orientieren sie sich an der Formgebung der Reliefstrukturen, korrespondieren mit diesen, ahmen deren Konturen abbildend nach.
Dabei dokumentieren die Silberstiftlinien in sich jeden einzelnen zeichnerischen Gestus. Oftmals ist das Ansetzen des Stiftes ebenso deutlich auszumachen, wie der Nachdruck mit dem die einzelne Linie geführt wurde. So entstehen Akzentuierungen im Linienfeld, die sich innerhalb der Gesamtform als eigene Muster aufeinander beziehen lassen. Bisweilen laufen aber auch einzelne Stricheinheiten im Detail der Gesamtstruktur als Fehler „in den Mustern der Erzählung“ zuwider.
Die zeichnerische Ergänzung verhält sich mal dialogisch zu den Reliefstrukturen, in anderen Fällen überschreibt sie deren Vorgaben um sie in eine neue Gesamtform zu überführen. Da die Zeichnungen stets ornamental angelegt sind, ergeben sich – trotz aller zu erwartender Leichtigkeit der stark zurückgenommenen Silberstiftzeichnungen – erstaunlich massive Gebilde. Was auf den ersten Blick sehr offen und ephemer scheinen konnte, legt sich in klar definierten Formen fest, die jeweils durch eine eindeutig nachvollziehbare Gestalt bestimmt werden.
Die einzelnen Formen orientieren sich in ihrer Ausdehnung meist an einem immer ähnlichem Blattformat, was sie meist auszufüllen scheinen. Bei Weisssehen kommen einige größere Papierträger hinzu, die vergleichbare Formengebilde in ähnlichen Größen aufweisen. Sie werden mit den Einzelblattzeichnungen kombiniert, teilweise von diesen überlagert, sodass sich in einer langen Welle, ein Strom von Zeichnungen unter der Decke der 11m2 zu ergiessen scheint.
Hier verfangen sich Licht und Blicke in den Oberflächen der Papierstrukturen, die Schraffuren der Zeichnungen scheinen als eine Vielzahl gesetzter Silberstreife auf. Formen entwickeln sich, wachsen in- und gegeneinander, verschränken und verlieren sich. Auch wenn sich also in der Anschauung eine Menge ereignet, eins ist nicht zu sehen, nirgends: Weiß!
Denn in vielerlei Hinsicht ist das Weisssehen das Schwarzsehen mit anderen Mitteln. Ausstellungen internationaler Institutionen in der zweiten Hälfte des 20. Jhd. haben belegt, dass in der Kunst sehr wenige Werke, die sich den Farbton „schwarz“ zu Gegenstand und Abbildung machen, dann auch tatsächlich in der Anschauung als schwarz erscheinen. Dem Weiß als Bildgegenstand geht es selten anders. Insofern hat dass Weissehen wiederum Entscheidendes mit der Weissagung gemeinsam: Den inhärenten Mangel an Zuverlässigkeit!



Pop-Up Kantstrasse
Für einzelen Projekte verlassen die 11m2 ihre großzügigen Räume in der Mommsenstrasse und öffnen anderenorts ihre Türen. For specific projects 11m2 leave their vast premises at Mommsenstrasse to open their doors elsewhere.

Pünktlich zum Gallery Weekend stellten sich die 11m2 auf 111m2 mit einem „Sampler“ Pop Up Projektraum vor. Am Freitag, dem 28.04.2017, eröffneten wir ab 16:30 bis ca. 21:00 Uhr, in der Kantstrasse 147, am Savignyplatz, sehr zentral gelegen zwischen Uhland Apotheke und Schwarzem Cafè!
Während des gesamten Wochenendes präsentierten wir unseren Projektraum in einer Art Porträt, das zum einen auf vergangene Projekte verweist, deren Arbeiten nun zum ersten mal in einem Raum zeitgleich und nebeneinander zu sehen waren. Zum anderen gewährten wir einen Ausblick auf kommende Veranstaltungen und stellten einige der Künstler vor, die wir in diesem und im kommenden Jahr zeigen möchten.
Und das bot der „Sampler“:
Von Troy-Anthony Baylis, einem indigenen australischem Künstler, der strickt, stellen wir frühe Arbeiten vor, die er als „First Queer and The Early Sunsets“ bei MyBerlinWall ausgestellt hatte.
Leigh Bowery, der legendäre australische Performance Künstler wird mit einem Projekt von museologischem Rang in den 11m2 zu sehen sein. Der „Sampler“ gewährt einen Einblick in eines seiner Skizzenbücher in digitaler Form. Die meisten dieser Zeichnungen sind dabei überhaupt noch nie und nirgends gezeigt worden!
Der deutsche Photograph, Kurator und Autor, Boris von Brauchitsch, wird mit einem konzeptionellen, auf Phtotographie und Texten basierenden Rauminstallation, die nächste Ausstellung bei uns bestreiten. Zur Einstimmung zeigen wir einige ältere Photographien des Künstlers.
Tony Clark, einer der einflussreichsten australischen Maler seiner Generation, documenta Teilnehmer, stellt für den „Sampler“, eine künstlerische Visitenkarte in Form eines, eigens für dieses Ereignis geschaffenen Selbstporträts vor. In einem wuchtigen Rahmen des 19. Jhd. tritt er somit als Poster Boy unserer Veranstaltung auf! Zeitgleich bespielt Tony das Fenster der 11m2 mit einer weiteren Malerei: „The Birds“.
Gary Carsley ist zur Zeit mit seiner Installation für „The National 2017“ im MCA, Sydney, erfolgreich. Als Ankündigung seiner Projekte in der Mommsenstraße zeigt er eine großformatige Photographie eines seiner „versteinerten“ Stühle. Dieses, mit einem kulturanthropologischen Narrativ infizierten Möbel des 19. Jhd., stammt ursprünglich aus der Sammlung des Kunstgewerbemuseums Berlin.
Friedrich Gräsel, einer der originellsten Bildhauer der westdeutschen Nachkriegsmoderne, ist mit einem Hauptwerk im öffentlichen Berliner Raum vertreten. Dieses jedoch vergammelt seit Jahrzehnten bis zur eigenen Unkenntlichkeit. Wir werden eine umfangreiche Auswahl seiner Graphiken zeigen in einen Kontext gerückt mit Werken internationaler Künstler, die sich Gräsel zum Thema nehmen. Unser wichtiges Ziel: „Gräsel-awareness!“
Edith Kollath schafft Installationen und Skulpturen, von großer poetischer Wirkungsmacht. Unser Partner-Projektraum „Marterie“ in Offenbach, zeigt zur Zeit ihre Ausstellung „Addressable Volume“. Im „Sampler“ gewährt Edith einen Einblick darein, was einen Stein in seinem Innersten zusammenhält.
Anny & Sibel Öztürk zeigen „Hans Arp“ aus ihrem grandiosen Sammlerkabinett für die 11m2 und eine Monstera Deliciosa als Verweis auf ihr nachhaltig beeindruckendes „unspeakable home“ für MyBerlinWall. Ein Jahr lang fand hier die einzigartige Überblendung von Adolf Hitlers Berghof mit dem großmütterlichen Wohnzimmer der Künstlerinnen in Istanbul statt. Wir bieten eine werkmonographische Publikation zu dieser Arbeit an.
Lars Reimers und Mickaël Marchand gewähren einmal mehr Einblick in ihre Archive mit hunderten Photos ungewöhnlicher Installationen aus verlorenem Strandgut im öffentlichen Raum.
Geo Reisingers großformatiges New York Panorama ist ein zweites mal in Berlin zu sehen. Anders, als in den 11m2 zeigt es sich in der Kantstrasse ein wenig offener. Einmal mehr bildet sich ein höchst ungewöhnlicher Ort in New York, an dem unbedingter ornamentaler Wille die Örtlichkeit bestimmt.
Dirk Schlichting schafft aufwändige Werke im Stil der sogenannten „Realkunst“. Handwerklich erstaunlich aufwändig, verblüffen seine Arbeiten mit ihrem Hintersinn und einem sehr feinen Ironiebewußtsein. Dirk stellt sich für die 11m2 auf 111m2 passenderweise mit einer höchst kleinformatigen Installation vor.
Klaus Staeck hat die politische Kunst der alten und der neuen Bundesrepublik geprägt, wie kein Anderer. Parallel zu dem bekannten, sehr umfangreichen Werkkomplex politischer Plakate, besteht ein wunderbares Universum von Collagen im Postkartenformat. In den 11m2 planen wir, den bislang umfassendsten Überblick, dieser bislang weniger bekannten Werkgruppe zu zeigen. Im Kontrast zu der schieren Unmenge von unikatär Papiergeschnittenem im Taschenformat, auf die wir in den 11m2 hoffen, zeigen wir nun zur Einstimmung zunächst einige wenige Motive.
Der 11m2 Pop Up Sampler ist ebenso eine erste Bestandsaufnahme, wie auch ein Ausblick und schließlich die einmalige Gelegenheit, die vielen, aufeinander folgenden künstlerischen Einzelpositionen, einmal im räumlichen Zusammenspiel zu erleben.
Wir haben uns auf viele spannende Begegnungen an diesem Wochenende gefreut und hoffen sehr, die Freunde der 11m2 nach Kräften zu mehren. Deshalb auch unsere Bitte, die Einladungen zu unseren Vernissagen weiterzureichen und Menschen, zu deren Berufung im Leben es eigentlich auch gehören sollte, Freunde kurioser Projekträume zu sein, bitte einfach mitzubringen!
Ausstellungsdauer: 28. – 30. April

Geo Reisinger Halbe Häuser, Ganze Paläste
Geo Reisinger
Halbe Häuser, Ganze Paläste
26.06.2015 – 10.07.2015
Eröffnung: 26.06.2015 um 19.00 Uhr
Fotos: Geo Reisinger
Geo Reisinger ist ein Architekt, ein Architekturtheoretiker und ein Photograph. Ein Architekt, der eine Kamera zur Hand nimmt, macht das, was man von ihm erwarten kann: Er baut um, im Bild.
Architekturen und Landschaften sind seine bevorzugten Motive. Er ist ein Photograph des strukturierenden Blicks. Den Sucher seiner Kamera auf ornamentale Ordnungen gerichtet, versteht er es, diese in seinen Bildern zu komplexen Musterstrukturen auszuarbeiten. Sind die gesuchten Strukturen erst einmal aufgespürt, werden sie sorgfältig analysiert und auf ihre Bildtauglichkeit hin seziert. Wie man beim Filetieren eines Fisches vorzugehen hat, legt Reisinger die Spiegelachsentauglichkeit seiner Motive frei. Angelegt als Mittelachse des Bildes, manchmal auch als dessen Rand, verdoppelt sie Hälften, in die Ganzheit eigenwilliger Bilderzählungen.
Als zentraler Fokus wird eine Position eröffnet, die bei Caspar David Friedrich der Rückenansichtigen Betrachterfigur vorbehalten war. Jener Figur, die als Handlungsanweisung dem Bildbetrachter als Identifikationsangebot, des als vorbildlich zu betrachtenden bildgerechten Handelns gelten sollte. Auch bei Reisinger sieht sich der Betrachter in Stellung gebracht und auch hier direkt in den Mittelpunkt des Geschehens. In diesem Fall ist der Bildmittelpunkt zugleich der Ausgangspunkt des Bildgeschehens. Hier teilt sich das Bild in gleich und gleich, es findet in sich selbst sein Gegenüber und doch entsteht etwas Neues, das weit über die Wiederholung des Halben hinausgeht. Neue Architekturen, Räume und Landschaften erwachsen diesem Prozess. Und so durchschaubar bleibt, worin der Kunstgriff besteht, das zu Sehende hat seine ganz eigene, völlig überzeugende Evidenz.
Im Fenster von 11m2 hat Geo Reisinger eine Reihe von Bildern gezeigt, die als Architektur- oder Landschaftsmotive eine solche axiale Spiegelung zum Ausgangspunkt des Bildgeschehens nehmen. Das Resultat ist verblüffend. Der kapitalistisch regulierte freie Wildwuchs urbaner Architektur in New York „vervollkommnet sich“ zu Palastarchitekturen, die stalinistische Machtrepräsentation in den Schatten zu stellen verstehen. Reisinger betitelt dieses Projekt spöttisch mit: „Give the people what they want.“ Hier wird das Photo zur Vervollkommnungsphantasie eines unterstellten kollektiven Wollens, das scheinbar perfekte Ordnungen entstehen lässt. In ihrer Wiederholung finden noch die einfachsten und belanglosesten architektonischen Entwürfe ihre Bestätigung in sich selbst und steigern sich in unerwartete ornamentale Erhabenheit. Und was auch immer zur Anschauung gebracht wurde, ob kolossale Architektur, oder monumentales Felsmassiv; es herrscht eine große Übersichtlichkeit. Das Bild, das ihn ins Zentrum gerückt hat, erscheint dem Betrachter als vollkommen beherrschbar.
Im Projektraum zeigt Reisinger ein Panorama. In die großzügig bemessenen 11m2 stellt er damit seinen eigenen, in sich geschlossenen Raum. Zu sehen sind Bilder von New York, einer Stadt, die in ihrer Ansichtigkeit und Darstellung traditionell für einen Ort der Vertikale gehalten wird. Kameras und Blicke richten sich hier zumeist erst einmal in die Höhe. Jeder, der die Stadt kennt, weiß jedoch, dass sich das Entscheidende in der Horizontalen abspielt, auf Straßenniveau in Blickhöhe, oder im Untergrund. Alles andere ist Ausblick.
Reisinger hält dagegen und senkt die Kamera. Mit dem geschulten Auge eines architekturkulturellen Feldforschers nimmt er die großartige ornamentale Zeichensprache der Asphaltgraphik ins Visier. Was er zeigt, ist Malerei, strenge Geometrie, die große, weithin übersehene Bilderzählung des öffentlichen Raumes. Es ist das Zeichensystem einer urbanen Ordnung, die Reisinger zu einer Komplexität zu fügen versteht, in der jene Notwendigkeit der Arabeske erkennbar wird, die Asphaltmarkierungen in eine lose Beziehung setzt zu den großen ornamentalen Bodenordnungen der Architekturgeschichte.
So bleibt festzustellen, dass nach Geo Reisingers photographischer Untersuchung zum Ornament der Straße niemand Fahrbahnmarkierungen je wieder nur achtlos mit Füssen treten sollte.
Rafael von Uslar